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  • Beitrag zuletzt geändert am:11. März 2024

Die deutschen Whiskybrennereien gewinnen immer mehr an Profil. Dafür werden optimale Produktionsumgebungen benötigt, die den individuellen Anforderungen an die Herstellung der Whiskys gerecht werden. Zudem möchte man den Besuchern der Brennereien auch vermehrt als Whiskyattraktion gerecht werden. Im Rahmen des zweiten Festivals des Deutschen Whiskys, das Ende April auf der Burg Scharfenstein in Thüringen stattfand, haben wir uns umgehört und viele Eindrücke gewonnen: Zwischen Verschlankungsprozessen, konstanterer Produktion und Investition spielt auch die CO2-Neutralität eine Rolle.

Rückführung und Erweiterung

Beginnen wir in Baden-Württemberg: Bei der Brigantia® – 1. Bodensee Whisky-Destillerie in Kressbronn am Bodensee (Baden-Württemberg) habe man kürzlich das als Whiskylager genutzte, über 100 Jahre alte „Stadl“ erweitert, um es für die Nutzung – darunter für Veranstaltungen – zu optimieren, wie Andrea Strohmayer, Leiterin des Ladengeschäfts, des Whiskyclub und der Seminare bei der Brennerei, erläuterte. Das „neue“ Stadl wird zum Hoffest am 17. Juni eingeweiht. Gleichzeitig feiert man das 195-jährige Bestehen der Brennerei und das zehnjährige Bestehen des Whisky Clubs.

Auch bei Schraml – die Steinwald-Brennerei in Erbendorf (Bayern) wurde in eine Erweiterung der Brennerei investiert. Inhaber Gregor Schraml erwarb dafür ein ehemaliges Kolpinghaus der katholischen Kirche direkt neben seinem Hof. Durch die Corona-Pandemie habe sich die Planung allerdings nach hinten verschoben. Die Sanierung soll jetzt bis 2024 – und passend zum Festival des Deutschen Whiskys, dass hier Anfang Mai 2024 ausgerichtet wird – umgesetzt werden. Im Rahmen der Umnutzung soll das Gebäude baulich zu den „Ursprüngen“ zurückgeführt werden und teils als eine Art Besucherzentrum sowie als Lagerhaus genutzt werden.

„Die Architekten sind gerade dran.“

Wolfgang Sigg, Braumeister bei der Farny Destillerie

Ähnliches plant man auch bei der Farny Destillerie – Edelweissbrauerei Farny in Kißlegg im Allgäu (Baden-Württemberg). Auf dem dortigen Hofgut stehen viele alte Gebäude, die zu Räumlichkeiten für Veranstaltungen umgebaut werden, aber zum Beispiel auch eine historische Brennanlage beherbergen sollen: „Die Architekten sind gerade dran“, so Wolfgang Sigg, Braumeister bei der Brennerei. Wann die Planungen abgeschlossen sind, sei aber noch offen.

Verschlankung und Diversifizierung

Bei der Lübbehusen Malt Distillery in Emstek (Niedersachsen) ist man hingegen mit der Verschlankung der Produktion beschäftigt, wie Marko Abeling, neben Jens Lübbehusen der zweite Mann in der Brennerei, in deren Lager aktuell „rund 500“ Fässer stehen, erklärte. Zum einen stelle man von der Verwendung einer Vollkornmaische auf die Läuterung zur Gewinnung der Würze um: „Eigentlich wollte Jens das schon lange“, sagte Abeling. Bereits im letzten Jahr wurde dafür der notwendige Läuterbottich geliefert, nun wird er betriebsbereit gemacht.

„Stehen vor einer großen Herausforderung.“

Marko Abeling, Lübbehusen Malt Distillery

Bei dem Wechsel stünden die beiden „vor einer großen Herausforderung“, vor allem auch in Bezug auf die geschmacklichen Änderungen im Whisky. Zudem stellen sie von „Silo- auf Sackware“ um, was im Gegenzug eine höhere Diversifikation in der Produktion ermögliche. Zum anderen reduziert man von maximal fünf Produktionstagen die Woche auf zwei Tage. Der bisherige Aufwand sei schlicht „sehr hoch“ für die beiden gewesen.

Die Brennerei Henrich in Kriftel (Hessen) setzt hingegen auf eine beständigere Whiskyproduktion. Bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie hatten Ralf und Holger Henrich, Inhaber der Brennerei, ein neues Gebäude gebaut, dass zur Lagerung der Whiskyfässern dient, aber seither auch den Shop und Hofladen sowie den Maischebottich beherbergt, der zuvor im Außenbereich stand. Derzeit lagerten in der Brennerei 160-180 Fässer „aller Art“, sagte Ralf Henrich.

Insgesamt sei die Produktion nun „konstanter“, das Alter der Whiskys – fünf bis sechs Jahre und älter – gestiegen und das Fassmanagement diversifizierter geworden. Neben der Spezialisierung auf Sherry- und Portweinfässer richte man sich nun auch auf Bourbonfässer zur „Vor- und Weiterreifung“ der Whiskys aus. Zudem besteht auch der Wunsch nach einer Vollreifung in diesen Fässern.

Neue Brennblasen und Fasslager

Bei der Slyrs Destillerie in Schliersee (Bayern) wiederum setzt man aktuell auf eine Erhöhung der Kapazitäten mit einer neuen Brauerei sowie neuen Brennblasen. Derzeit produziere man etwa 90.000 Liter pro Jahr, mit den neuen Brennblasen – Start ist voraussichtlich Mai 2024 – werde die Produktionskapazität „vier- bis verfünffacht“, sagte Kilian Jonscher, Destillateur bei der Brennerei. Bereits jetzt umfasst das Portfolio 17 dauerhaft verfügbare Whiskys.

„Es wird eine richtig schöne Spielwiese gebaut.“

Kilian Jonscher, Destillateur bei der Slyrs Destillerie

Mit der neuen Brauerei könne zum Beispiel auch „eine eigene Roggenwürze hergestellt und mehr experimentiert“ werden: „Es wird eine richtig schöne Spielwiese gebaut“, fasste Jonscher zusammen.

Keine neuen Brennblasen, aber ein neues Fasslager baut Hans-Gerhard Fink von der finch® Whiskydestillerie in Heroldstatt (Baden-Württemberg) für seinen Whisky. Sein Bestand an Whisky beträgt derzeit „knapp 6.000 Fässer“. Zudem baut er eine neue Brennerei, in der die bisherige Brennanlage untergebracht wird. Fast zwei Jahre dauerte es, die Baugenehmigung zu bekommen. Doch nun schaut Fink nach vorn: „Ich bin zuversichtlich, dass auch die neue Brennerei in der zweiten Jahreshälfte fertig wird.“ Zudem habe er bereits alte Munitionsdepots von Frankreich erworben, die zur Lagerung genutzt werden können. Ein ähnliches Prinzip verfolgt man auch bei den St. Kilian Distillers in Rüdenau (Bayern) mit alten Bunkeranlagen.

„Baulust und das, was realisierbar ist, ist nicht das gleiche.“

Severin Simon, Inhaber der Feinbrennerei Simon´s

Schließlich ist auch bei der Feinbrennerei Simon´s in Alzenau (Bayern) im März ein neues Fasslager fertig geworden für die Lagerung des Simon´s Bavarian Whisky und Rum. Die Fassanzahl bewege sich aktuell im „im mittleren, dreistelligen Bereich“, so Severin Simon, Inhaber der Brennerei auf telefonische Nachfrage. Um die „drastisch gestiegenen Baukosten“ einzudämmen, habe man vieles in Eigenleistung realisiert, darunter Bäume aus dem eigenen Wald gefällt und ganze Stämme verwendet. Fast ein Jahr dauerte die Umsetzung: „Baulust und das, was realisierbar ist, ist nicht das gleiche“, fasste er zusammen.

Spezialitätenbrennerei & Whisky Destillerie Liebl GmbH

Energetisch nachhaltig

Gerhard Liebl von der Spezialitätenbrennerei & Whisky Destillerie Liebl in Bad Kötzting (Bayern) baut derzeit ein neues Hauptgebäude für seinen Betrieb. Bereits 2014 hatte Liebl in eine neue Whiskyhalle investiert, an welche derzeit ein neues Hauptgebäude angebaut wird. Hier soll fortan die gesamte Brennerei, aber auch ein Shop und eine Wein Lounge untergebracht werden. Zudem entstehe ein „Multifunktionsraum“, der zum Beispiel für „Meetings, Degustationen, Lesungen und Musik“ genutzt werden könne.

„Wenn es gut läuft, können wir zum 90-jährigen Jubiläum fertig sein.“

Gerhard Liebl, Inhaber der Spezialitätenbrennerei & Whisky Destillerie Liebl

Die Bauplanung sieht zudem eine energisch nachhaltige Bauweise vor, die „Richtung CO2-Neutralität“ tendiere, unter anderem mit Wärmepumpe, einem Wasserkreislauf zwischen Brennerei und Heizungsanlage und Photovoltaik zur Energiegewinnung. Damit wäre Liebl, unter dem Ziel Deutschlands, bis 2045 die Klimaneutralität zu erreichen, ganz vorne mit dabei. Das bisherige Hauptgebäude wird einer Umnutzung zugeführt. Zwei Jahre Bauzeit sind insgesamt einkalkuliert: „Wenn es gut läuft, können wir zum 90-jährigen Jubiläum fertig sein“, so Liebl. Das wäre in 2025. Liebl sich mit dem Investment allerdings auch mit höheren Kosten konfrontiert. Allein seit dem letzten Jahr sei es – mit dem Ausbruch des Angriffskriegs auf die Ukraine – zu „Preissteigerungen von 10 bis 15%“ gekommen, darunter im Energiesektor und in der Beschaffungslogistik.

Alle hier vorgestellten Adressen entdecken Sie auch in unserer redaktionellen Übersicht der deutschen Whiskybrennereien sowie im FINDER des Whisky Guide Online.

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Patrick Tilke

Hier schreibt Patrick Tilke, Journalist und Redakteur der ersten Stunde beim Whisky Guide.