Warum ausgerechnet amerikanischer Whiskey? Diese Frage bekomme ich häufig gestellt, wenn ich gerade einmal wieder hinter einem Stand auf einer Whiskey-Messe stehe und man mich auf mein Bourbon Buch anspricht. Oder ich rede über einen Bourbon bzw. amerikanischen Whiskey, wozu man mich nicht zwingen muss. Ich tue es liebend gerne.
Allerdings war für mich die Frage nach der Wahl eines bestimmten Whiskeys nie mit einem Entweder oder sondern stets mit einem Sowohl als auch verbunden. An manchen Tagen wird es eben ein unkomplizierter Blended Whiskey aus Irland, an anderen wiederum ein rauchig-phenoliger Single Malt von den schottischen Hebriden, und dann auch gerne mal ein kraftvoller Bourbon in Fassstärke. Ich habe keine klare Präferenz und mir ist es auch völlig egal, ob die Flasche als Whiskey oder als Whisky etikettiert ist, solange der Inhalt entsprechend zu überzeugen weiß.
Plädoyer für ein offenes Sowohl als auch
Denn auch wenn das Interesse an amerikanischem Whiskey in den letzten Jahren zugenommen hat, bekommt man insbesondere auf Whisky Messen zuweilen immer noch das Gefühl vermittelt, etwas zu vertreten, das dem großen Heiligtum vieler selbsternannter Connaisseure, dem schottischen Single Malt, gefälligst untergeordnet zu sein hat. Womöglich mag eine solche Geringschätzung auch mit entsprechenden Trink-Erfahrungen aus der Vergangenheit zusammenhängen, als die Vielfalt an guten Bourbon oder Rye Whiskeys am europäischen Markt, nun ja, seien wir ehrlich, noch ziemlich ausbaufähig war. Doch die Zeiten haben sich geändert, und es lohnt sich, einen neuen, anderen Blick auf diese Kategorie zu werfen.
Warum mein Bourbon Buch?
Das Geschmacksprofil von Bourbon & Co. mag vielleicht nicht jedermanns Sache sein, aber diese Einschätzung beruht halt in vielen Fällen auf bloßen Vorurteilen. Und genau deshalb sah ich damals die Zeit für ein eigenes Buch über den amerikanischen Whiskey gekommen, das ich schließlich 2019 zu Papier bringen konnte. Rein vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt her hätte ich vielleicht doch eher über den schottischen Whisky schreiben sollen, und damit wohl eine potenziell größere Zielgruppe angesprochen. Mir ging es jedoch vor allem darum, dem amerikanischen Whiskey eine Stimme im deutschsprachigen Whisky Kosmos zu verleihen und mit bestehenden Vorurteilen zu brechen – ein Prozess, der wohl noch nicht zu Ende gekommen zu sein scheint.

Wichtige Duftmarken: Das Eichenholz als Geschmacksträger
Der amerikanische Whiskey ist letztlich ein Paradebeispiel, um den Einfluss von Eichenholz auf den Reifungsprozess von Spirituosen erlebbar zu machen. Seit 1936 muss jeder Bourbon (aber auch Rye, Wheat, Malt oder Rye Malt Whiskey aus den USA) per Gesetz in neuen, ausgekohlten Eichenholzfässern reifen. Was ursprünglich mal als eine Konjunkturbelebungsmaßnahme für die amerikanische Holzindustrie vorgesehen war, entwickelte sich mehr und mehr zum entscheidenden Wesensmerkmal dieser Spirituosenkategorie. Ganz egal, welche Getreide-Hefe-Mischung (mash bill) verwendet oder wie das Produkt destilliert wurde, durch die Vorgabe der Reifung in neuen, frischen, ausgekohlten Eichenholzfässer zeigen sich diese Whiskeys stets von einer prägnanten Aromatik bestimmt, die viel mit dem Holz zu tun hat – und sich auch nicht verbirgt!
Je nach Dauer der Einlagerung, dem gewählten Standort, aber auch der Auswahl der für eine bestimmte Abfüllung herangezogenen Fässer, kommt diese Aromatik mal etwas mehr und mal etwas weniger stark zu tragen. Manchen mag das etwas zu eindimensional oder zu vordergründig erscheinen; ich wiederum habe großen Gefallen gefunden an diesem Zusammenspiel aus einem mitunter etwas alkoholischeren Grundcharakter, der von einem markanten Fassaroma eingefangen wird. Bourbon versteckt sich nicht: Karamell, Vanille, Holzkohle, Nelke, Kokos und noch viele weitere Fassaromen schreien förmlich aus dem Glas heraus. Und trotzdem zeigen sich diese Whiskeys facettenreicher als man auf dem ersten Blick vermutet. Und das, ich betone das ausdrücklich, gilt es zu entdecken und wahrzunehmen.
Der Grund dafür liegt unter anderem an den vielen unterschiedlichen Hefestämmen, die von den etablierten Whiskey-Herstellern aus den USA schon seit Jahrzehnten kultiviert werden. Jeder dieser Hefestämme sorgt für einen individuellen Destillerie-Charakter mit einem breiten Bukett aus Aromen wie Banane, Pfirsich, grüner Apfel, Kirsche, Minze, Ingwer und noch dergleichen mehr. Trotz eines relativ uniformen Destillationsverfahrens und einer ausschließlichen Reifung in den immer gleichen Fasstypus bringen diese Whiskeys somit ein ungemein vielfältiges Spektrum an Aromen hervor, das sich vor keinem anderen Whisky welcher Couleur auch immer, zu verstecken braucht.
Markenzeichen Fassbereitung: Lufttrocknung und Charring
Für die Fassbereitung werden 40 bis 100 Jahre alte Eichenholzbäume aus den Wäldern aus Arkansas, Missouri und den umliegenden Bundesstaaten geholt. Die mächtigen Stämme werden in nahegelegene Sägewerke gebracht und dort fachgerecht zu mehrere Zentimeter breite Bretter, die sogenannten Dauben, verarbeitet. Diese müssen anschließend über mehrere Monate im Freien gestapelt werden, damit sich der vorhandene Wassergehalt reduziert. (An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass sich dieser Prozess durch das Einlagern der Hölzer in eigens beheizte Hallen statt im Freien auch auf wenige Woche verkürzen lässt, wenngleich viele Whiskey-Produzenten weiterhin aus Überzeugung auf eine Lufttrocknung im Freien bestehen.)
Nach Abschluss des Trocknungsprozesses werden die Dauben in den Küfereien zu Fässern zusammengebaut und danach einem speziellen Auskohlungsprozess unterzogen. Neben einem einfachen Toasting in einem Temperaturbereich von um die 200 °C, das man etwa auch von der Bereitstellung von Wein-Fässern oder von jenen zur Aufbewahrung anderer Spirituosen kennt, folgt ein intensives Charring. Bei diesem wird der Fasskörper mittels einer kraftvollen Stichflamme von innen regelrecht ausgekohlt. Diese Kohleschicht wird in späterer Folge zum Austauschmedium zwischen Holzfass und Spirituose und sorgt dafür, dass der Whiskey über die Jahre der Fassreifung seine markantesten Noten bekommt – gefiltert durch den offenen Kohlstoff, aber auch intensiviert und variiert durch die spezielle Hitzewirkung der Flammen.
Gezielte intensive Reifung
Die Bauweise der Lagergebäude, in denen die amerikanischen Whiskeys reifen, trägt schließlich noch ihr Übriges dazu bei. Diese werden nämlich meistens in einer einfachen Holzbauweise mit einer dünnen Wellblechummantelung errichtet, wodurch die Temperaturschwankungen den Reifungszyklus noch weiter vorantreiben. Manchmal werden die Lagergebäude zudem eigens Schwarz angestrichen, wodurch die Sonneneinstrahlung noch stärker zur Geltung kommen kann. Bei Wärme arbeiten sich die Whiskeys in die Holzinnenwände der eingelagerten Fässer hinein und bei Kälte ziehen sie sich wieder zurück. Infolge dieses permanenten, von den Außentemperaturen weiter vorangetriebenen Vor-und-zurück werden immer mehr Aromen im Whiskey eingelagert und übertragen – und das immer vermittelt durch das feinporige Holz der amerikanischen Weißeiche, die dadurch wie ein Geschmacksträger fungiert.
Die Besonderheiten beim Alter
Ein mit dem entscheidenden Zusatz „Straight“ etikettierter US Whiskey muss ein Mindestalter von 4 Jahren aufweisen, wenn sonst kein konkreter Altersverweis am Etikett angebracht ist, wie es häufig der Fall ist. Ansonsten würden bereits 2 Jahre genügen. Die klimatischen Bedingungen, das Lager-Management, und die Verwendung von ausschließlich neuen, ausgekohlten Eichenholzfässern sorgen dafür, dass diese Whiskeys aber schon nach einer Fassreifung von teils nur wenigen Jahren abgefüllt werden können. Was in anderen Whiskey Regionen auf der Welt wesentlich mehr Zeit benötigt, geschieht in den USA somit gewissermaßen im Schnelldurchlauf.
Hierbei macht es einen Unterschied, wo ein für eine bestimmte Abfüllung vorgesehenes Whiskey Fass in den weitestgehend unisolierten Lagergebäuden aufbewahrt wurde. Während ein Fass im Dachbereich oder in der Nähe der Außenwände aufgrund der dort auftretenden markanten Temperaturschwankungen einen besonders intensiven Austausch von Holz und Spirituose erfährt – und der Whiskey damit viel schneller die gewünschte Aromen annimmt -, dauert dies in jenen Bereichen, wo die Temperaturschwankungen weniger drastisch ausfallen, entsprechend länger.

Problemzone “Over matured“
Folgerichtig lässt sich auch nicht verallgemeinern, nach welcher Reifungsdauer diese Whiskeys in der Regel ihren geschmacklichen Höhepunkte erreichen. Für manche Hersteller – entsprechend den Einlagerungsstrategien – mag das zwischen 5 und 7 Jahre sein. Andere Whiskeys profitieren von einer noch weiter in die Länge gezogenen Reifungsphase, insbesondere wenn sie in den kühleren Bereichen der riesigen Lagergebäude verwahrt wurden. Bei einer zu sehr in die Länge gezogene Reifung besteht jedoch die große Gefahr, dass die besagten Holznoten ein Übermaß erreichen und man am Ende nur eine wenig wohlschmeckende, von Tannin-Noten und Gerbstoffen durchzogene Spirituose vorfindet, bei der das Ursprungsprodukt und der individuelle Destillerie-Charakter gar nicht mehr zur Geltung kommen. Der klassische Fall von „over matured“.
Für die Produzenten gilt es somit jenen Bereich zu finden, wo die Holzaromen den Whiskey gut stützen, ohne diesen restlos zu überdecken. Dann zeigen sich diese Abfüllungen von ihrer besten Seite. Gleichzeitig soll die Reifung aber auch nicht zu kurz ausfallen, weil damit der doch häufig als etwas harsch wahrgenommene Destillat-Charakter zu stark in den Vordergrund treten würde: etwas, das gerade bei noch sehr jungen Bourbons durchaus vorkommen kann.

Was zählt ist der gute Tropfen im Glas
Die in ein tiefes Bernstein gehüllten amerikanischen Whiskeys – Achtung: Bourbon und Straight Whiskeys dürfen nicht gefärbt werden! – zeigen sich gern füllig, reich an Extrakten und besitzen ein oft üppiges Bukett an Aromen – aber immer auch getragen von Anklängen an Holz. Sie eignen sich daher perfekt für einen Whiskey Sour, einen Manhattan und vielen schönen Cocktails sonst. Aber eben auch für den Purgenuss. Wenn ich auf Whiskey-Messen jemandem einen solchen Whiskey zum Verkosten gebe und die anfängliche Skepsis in Begeisterung umschlägt, dann wird mir wieder bewusst, dass es eine gute Entscheidung gewesen ist, dem amerikanischen Whiskey durch mein Bourbon Buch eine Stimme zu leihen. Es gibt viele tolle Brennereien mit großartigen Whiskeys in den USA. Man achte besonders auf die hier im Whisky Guide vorgestellten. Ich empfehle daher: Einfach mal ausprobieren! Es gibt nämlich solche Tage, wo einem ein mollig anheimelnder, nach Karamell und vielen tiefgründigen Gewürzen duftender und schmeckender Bourbon einem ganz unverhofft ein Lächeln ins Gesicht zaubert. I love it!