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  • Beitrag zuletzt geändert am:10. April 2023

„Neugierde ist wichtig“, so Marc Reynier zum Auftakt des Tastings mit Waterford im Whisky Spirits von Gregor Haslinger in Frankfurt am Main. Und bevor man gleich am Whisky aus dem Fass nippe, solle man doch einen Tropfen Wasser hineingeben. Und warum sind sie alle in Fassstärke? Nun, er „möge die Zahl“, scherzt Reynier und entgegnet, dass dadurch „mehr Struktur“ gegeben sei. Die Verdünnung aber würde die Aromatik öffnen: „Man verdünnt nicht die Aromen, sondern den Alkohol“. Daher solle man „nicht schüchtern sein“ und Wasser hinzugeben.

An diesem Abend tritt Reynier als Inhaber der irischen Waterford Distillery auf. Insgesamt gilt er als erfahrene Person in der Wein- und Whiskywelt, eine eher seltene Kombination. Nach einer Laufbahn im Wein gründete er 1995 den unabhängigen Whiskyabfüller Murray McDavid, der 2002 die stillgelegte Whiskybrennerei Bruichladdich auf Islay in Schottland übernahm, diese wieder zu einer Größe führte, bis sie 2012 an Rémy Cointreau verkauft wurde. Im Jahr 2014 sorgte ein Tweet für Überraschung: „Today I bought a distillery – it’s good to be back“. Es sollte sich um die neue Waterford Distillery in Irland handeln.

Marc Reynier ist Macher und denkt aus der konzeptionellen Ecke.

Whisky aus einer Zeit der Unschuld

Man merkt schnell, dass Reynier auch aus der konzeptionellen Ecke denkt. So referiert er zu Beginn erst einmal über seine Motivation, die von einer Zuneigung zu Whiskys „alter Machart“ rührt. Anfang der 1980er Jahre, weiß er zu berichten, seien Bestände von Single Malts veröffentlicht worden, die Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre destilliert wurden. Diese seien noch „aus einer Zeit der Unschuld“ gekommen und hätten ihn daher interessiert. Denn was an Whisky seit der Ölkrise 1973 auf den Markt kam – ein Großteil landete damals in der Regel im Blended Scotch – sei nämlich „nie zum Pur Trinken gemacht“ worden.

Zum zweiten habe Reynier mit Bruichladdich seine Weinkompetenz einbringen wollen, die eng mit Renaissance des Konzepts vom „Terroir“ im Burgund in Frankreich verbunden gewesen sei. Der Begriff selbst ist jedoch von eher schwammiger Natur, und es gibt international kaum eine passende Übersetzung. Im Groben beschreibt er aber das Zusammenspiel kultureller Erzeugnisse aus Ackerland, wozu unter anderem die Topografie, der Boden und das Mikroklima gehört. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht jedoch immer die angebaute Pflanze selbst, in Reyniers Fall also die Gerste für den Whisky.

Teilnehmer des Tastings beim Fachsimpeln mit Gregor Haslinger, Inhaber des Whisky Shops Whisky Spirits in Frankfurt am Main.

Existiert Terroir im Whisky?

Whiskys von „alter Machart“ mit Hilfe des Konzepts des „Terroirs“ herzustellen, lautete also der Plan von Reynier. Dafür habe man Lagerbestände (für Murray McDavid) erworben und bei Bruichladdich den Whisky eben auch selbst gemacht. Um dem Konzept des Terroirs gerecht zu werden, war allerdings der Anbau von Gerste im lokalen Umfeld der Brennerei auf Islay nötig. Dies sei zwar kompliziert gewesen, denn seit Ende des 1. Weltkrieges sei hier keines mehr angebaut worden. Auch die kurze Wachstumsperiode der Gerste habe den Anbau nicht leicht gemacht.

Dennoch hätten sich um 2003 insgesamt 14 Landwirte gefunden, die sich mit dem New Make aus der Gerste der Farmen auch über die verschiedenen, geschmacklichen Ergebnisse ausgetauscht hätten. Die Whiskyindustrie hingegen habe bei Reyniers Versuch, das Thema in die Whiskywelt einzubringen, lapidar kritisiert, dass Terroir im Whisky „keinesfalls existieren“ könne. Worauf hin er eine Studie über die destillierten Spirituosen in Auftrag gab, in welcher über 2.000 Aromastoffe gefunden wurden. Ein Großteil von ihnen kam aus dem Boden selbst, was das Terroir-Konzept jedenfalls zum Teil validierte.

„Wir haben über 50 Jahre Zeit verloren.“

Marc Reynier, Inhaber der Waterford Distillery

Die „Varietät“ (Variante) der für den Anbau verwendeten, typischen Gerstensorte – zum Beispiel in Geschmack, Gestalt oder Farbe – habe jedoch keinen Unterschied gemacht. Das heißt, dass zwar eine Bestätigung über den Einfluss des Terroirs gegeben war, Reynier jedoch keine geschmackliche Vielfalt aus der Gerste gewann. Man habe schlicht „über Jahrzehnte immer denselben Stammbaum verwendet“, so seine Erkenntnis. Da man hierdurch „über 50 Jahre Zeit verlor“, habe er sich deshalb auf die Suche nach „verlorenen“ Aromen alter Getreidesorten gemacht, so wie sie in der Zeit vor 1970 verwendete wurden.

Ned Grahan, Master Distiller bei Waterford.

Validierung der Varietäten

Bei Waterford brachte er dieses Konzept nach dem Verkauf von Bruichladdich – er sei damit nicht besonders glücklich gewesen – in vollem Umfang ein. Dass es auf irischem Boden passierte, war einem Hinweis des ehemaligen General Manager Duncan McGillivray geschuldet, nach welchem das beste Getreide aus Nordirland kommen würde. Reynier wiederum überlegte, warum man nicht „südlicher ginge bis auf den Breitengrad von Cambridge“. „Gute Produkte“ kämen von da, zudem bot das Unternehmen Diageo zu dem Zeitpunkt eine Brauerei zum Verkauf an. Reynier übernahm sie für die Suche nach „echtem“ Whisky.

Mit dem Umbau in die Brennerei setzte er seinen Plan in die Tat um. Auch hierfür benötigte er Landwirte, die seine Gerste anbauen würden. Und so kommen seit der Gründung jährlich 35 Landwirte mit Ackerland in unterschiedlichem Terroir aus der Region hinzu, heute seien es bereits 110. Wie bereits erläutert, gehe es ihm dabei um die Frage, ob der daraus destillierte Whisky gleich oder verschieden schmecken würde. Dies hinge auch davon ab, welche Gerste zum Einsatz käme, denn auch sie ist verschieden: Sie könne zum Beispiel regenerativ, mit wenig Protein behaftet sein oder aus einer alten Sorte stammen.

Am Ende sei es seine Aufgabe, so Reynier, die These über das Terroir und die Varietät der Gerste im Whisky „zu validieren“ und dies auch in einer ursprünglichen Machart zu zeigen. Dreierlei Punkte seien daher in der Verkostung der Waterford Whiskys relevant:

  1. Die Frage zu klären, ob Varietät existiert,
  2. das Erbe alter Getreidesorten zu erkunden
  3. und daraus eine Assemblage sowie einem Peated Whisky in einem traditionellen, irischen Stil zu zeigen.

Verkostet wurden sechs Whiskys in Fassstärke (50%). Die Whiskys seien sechs bis sieben Jahre alt, erläutert Ned Grahan, Master Distiller bei Waterford im aufgewärmten Tasting Room. Auf die zehn bis 12-jährigen warte man noch. Zur Reife genutzt werden American Virgin Oak, First Fill Bourbon Barrels, French Oak und Vin Doux Naturel Fässer (zum Beispiel verstärkter Wein), ergänzt Reynier. Diese werden für die einzelnen Abfüllungen vermählt. Zudem habe man für die ersten Abfüllungen ein „einheitliches Fassmanagement verwendet mit nur 1-2% Abweichung, um die Unterschiede im Getreide zu zeigen.“

„Es ist das erste Mal, das Whisky mit echter Varietät seit den 1960er Jahren so gemacht wurde.“

Marc Reynier, Inhaber der Waterford Distillery

7.000 Datenpunkte

Die ersten drei Whiskys, sogenannte Single Farm Origins, bestehen aus der angebauten Gerste einzelner Farmen: Tinnashrule 1.1, Broomlands 1.2 und Sheestown 1.2. Und sie zeigen klare Unterschiede im Geschmack. Um darüber hinaus noch mehr Informationen über das Terroir und die verwendeten Varietäten zu erhalten, habe man zusätzlich bereits 7.000 Datenpunkte pro Farm erfasst, darunter „Karten, Klänge des wachsenden Getreides oder der Fermentation“, so Reynier. Dieser „Terroir Code“ kann über einen QR-Code für jede Flasche beziehungsweise Edition abgerufen werden.

Das gilt auch für den neuen Waterford Heritage Hunter Farm 1.1. Er entstand aus der alten Gerstensorte „Arcadian Barley“, sei „ursprünglich gemacht“ und in „lebender Erde“ anstatt in „regenerativer Erde“ gewachsen. Zwar koste es „doppelt so viel, dieses Getreide anzubauen“. 2022 sei der Preis aber gleich gewesen, da etwa die Düngemittel teurer geworden seien, witzelt Reynier. Auch sei es das erste Mal, dass Whisky mit echter Varietät „seit den 1960er Jahren so gemacht wurde“. Der Waterford The Arcadian Organic Gaia 2.1 wurde hingegen biodynamisch – er ist auch zertifiert – angebaut.

Über die Brennerei weiß Reynier zu berichten, dass sie einfach „The Faciliator“ („Der Vermittler“) genannt wird, die Brennerei also ein Vermittler zwischen Rohstoff und Whisky ist. Unter anderem sei eine spezielle Mühle von Diageo im Einsatz, die als „anaerobe Mühle“ für eine sehr feine Mahlung der Gerste sorge. Womit alle Enzyme aktiviert und komplett in Zucker verwandelt würden: eben „eine optimal gebaute Mühle“. Zudem verwende man eine „siebenmal längere Fermentation als der Industriestandard und eine etwa dreimal so lange wie die in kleinen Brennereien“, so Reynier über die Produktion.

Marc Reynier signiert eine seiner Abfüllungen von Waterford.

Assemblagen und Peated Whisky

Der sechste Whisky, Waterford The Cuvée besteht aus Whisky von 25 Farmen und enthält „sieben oder acht Varietäten“, was aber im Geschmack keinen Unterschied mache. Bei der Komposition gehe es für Reynier jedoch um das Konzept des Terroirs und um eine „apolektische“, also unumstößliche Suche nach „natürlichen“ Aromen: „Ich möchte keine hinzugefügten Aromen wie zu viel Holz oder Süße im Whisky.“ Auch solle man „das Holz nicht schmecken.“ Der Waterford The Cuvée sei als zukünftiger Standard der Brennerei ein Ausdruck dieser Haltung und daher modelliert wie beim Wein bzw. Champagner.

„Ich möchte keine hinzugefügten Aromen wie zu viel Holz oder Süße im Whisky“.

Marc Reynier, Inhaber der Waterford Distillery

Beim siebten Whisky, dem Waterford Peated Ballybannon spielt das Thema Torf hinein. Dafür muss man wissen, dass es im irischen Whisky zu früheren Zeiten auch getorften, das heißt gerauchten Whisky gab. Dieses Mal sei es jedoch „das erste Mal, dass irisch gewachsenes Getreide mit irischem Torf gemacht“ worden sei. Die Grundlage für diesen Whisky (47 ppm) bildet wieder das „Arcadian Barley“. Zwar „dominiere“ trotz des enthaltenen Torfs das Terroir den Rauch in diesem Whisky. Dafür gerät er aber fein säuberlich eingebunden, mit Teer, Salz und einem warmen Lagerfeuer auf dem Gaumen.

Gregor Haslinger, Inhaber des Whisky Shops Whisky Spirits in Frankfurt am Main.

Whisky der dritten Generation

Zum Ende schlägt Reynier noch den Bogen zum Thema „Transparenz“, dass bereits bei Bruichladdich von großer Bedeutung war. Denn seit längerem herrscht bei nicht wenigen Whisky Fans ein Vorbehalt gegenüber der üblichen Vermarktung in der Whiskywelt. In einer „zweiten Generation“ an Genießern von Whisky sei mit Bruichladdich daher das „Marketing Narrativ“ im Whisky entlarvt worden. Nun aber würde man in eine „neue Phase eintreten mit einer neuen Generation, die mit Getreide arbeitet“. In dieser „dritten Generation“ seien nun vor allem „Wahrheitssucher“ wie zum Beispiel Food Nerds tonangebend.

„Dies ist erst der Anfang!“

Marc Reynier, Inhaber der Waterford Distillery

Insgesamt handele es sich um „eine Gegenbewegung zum etablierten System“, dass von „Industriestandards, Geschmäckern, Preisen und augenscheinlicher Transparenz“ geprägt sei. Und verschärft: „Viele sind angepisst!“ Für Reynier ist dies auch der Grund, auf seinen Whiskys über die geleistete Arbeit Auskunft zu geben. So ist neben dem Terroir-Code auch der Begriff „Produce“ für ein Produkt aus landwirtschaftlichen Zutaten auf jeder Flasche angegeben. Und auch diese sind verzeichnet. „Dies ist der ehrlichste Whisky, den du kriegen kannst“, so Reyniers Überzeugung. Und ergänzt zum Abschied: „Dies ist erst der Anfang!“

Michel „The Whisky Druid“ Reick ist Whisky Ambassador bei Kirsch Import e.K., dem Importeur von Waterford in Deutschland.

Eine Broschüre mit weiteren Informationen rund um Waterford gibt es hier zum Download. Der Whisky Shop Whisky Spirits in Frankfurt am Main in Hessen findet sich auch im FINDER des Whisky Guide Online.

www.waterfordwhisky.com

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Patrick Tilke

Hier schreibt Patrick Tilke, Journalist und Redakteur der ersten Stunde beim Whisky Guide.