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  • Beitrag zuletzt geändert am:9. April 2023

„Es ist das einzige Tasting dieser Art in Europa“, sagte Gordon Muir, European Sales Manager bei Gordon & MacPhail (G&M) über die am vergangenen Samstagabend im Brühler Whiskyhaus zusammengestellten Jahrgangswhiskys aus der neuen „Recollection Series“. Die Serie von elf Whiskys stammt aus „verlorenen“ Brennereien, das heißt Brennereien, die für immer geschlossen sind. Sechs von ihnen wurden, in dem von Marco Bonn geführten Whisky Shop in Brühl bei Köln vorgestellt. Der Gesamtwert der Whiskyflaschen auf dem Tisch ist fast erschreckend: 16.614,90 € kosten sie zusammen.

„Bei mir gibt es prinzipiell immer acht.“

Marco Bonn, Inhaber des Brühler Whiskyhaus

Aber warum stecken insgesamt acht Gläser in den Einfassungen der voluminösen Holzbretter am großen Verkostungstisch, der bereits für das zugehörige 4-Gänge-Menü eingedeckt ist? „Bei mir gibt es prinzipiell immer acht“, so Bonn. Weshalb der Importeur Kirsch Import aus Stuhr bei Bremen zu den sechs ausgewählten Whiskys – bestehend aus Imperial 28 (1993), Glen Mohr 40 (1982), Lochside 40 (1981), St. Magdalene 39 (1982), Convalmore 40 (1982) und Banff 46 (1975) – noch kurzerhand einen Longmorn 33 (1987) und einen Strathisla 33 (1987) mit auf den Tisch stellte.

Marco Bonn (links) beim Fachsimpeln mit Nico Spiegel, Teilnehmer der Verkostung.

Unwiederholbare Ergebnisse

Die Auswahl der beiden zugegebenen Whiskys ist auch Bonns Zuneigung zu Raritäten geschuldet. Diese begann bei einem Raritäten Tasting vor 13 Jahren. Damals habe er einen Mortlach 70 von G&M entdeckt sowie einen Mortlach 1954 (54 Jahre) aus der Dram Taker´s Serie: „Der hat mich damals umgehauen, wie ein geschliffener Diamant“, erinnert sich Bonn. Allerdings sei dieser „unter den 1.000 Whiskys“, die er mittlerweile jährlich probiere, „heute vielleicht nicht mehr ganz so besonders“, fügt er relativierend hinzu. Longmorns aus den 1960er und 1970er Jahren sowie der Strathisla hätten aber sein Gefallen gefunden.

„Die daraus entstandenen Ergebnisse sind unwiederholbar.“

Gordon Muir, European Sales Manager bei Gordon & MacPhail

Die Jahrgangswhiskys („Vintages“) der Recollection Serie stammen wiederum aus Brennereien, die in den 1980er und 1990er Jahren geschlossen wurden. Da sie vor allem im Blended Scotch dienten, seien sie mit dem Aufkommen des Single Malts nicht mehr so gefragt gewesen: „Die meisten waren zu speziell oder zu weit entfernt“, erklärt Muir. Da man es bei G&M aber liebe, Whiskys lang zu reifen, seien die daraus entstandenen Ergebnisse „unwiederholbar“. So habe man „von allen Brennereien etwas“, führt er aus und berichtet von 60-70-jährigen Glen Grants, wobei ihm Tränen in die Augen schießen: „Die sind unglaublich.“

Gordon Muir liebt es, zu unterstützen, was aus seiner Heimat kommt.

Das Prinzip Independent

Als Grundlage für den langen Reifeprozess sende man eigene, leere Fässer an die Brennereien, lasse sie befüllen und zunächst in deren Lagerhäusern für fünf bis sechs Jahre reifen. Erst danach kämen sie nach Elgin oder Forres in die Lagerhäuser von G&M, fasst Muir den Arbeitsprozess des Familienunternehmens zusammen. Aktuell habe man 38.000 Fässer auf Lager. Wie hoch darunter der Anteil an Jahrgangsabfüllungen sei, könne er jedoch aktuell nicht sagen. In jedem Fall sei der dadurch mögliche Verkauf von Abfüllungen ab sofort für die nächsten 80-90 Jahre gesichert.

„Es kommen immer wieder Anfragen der Brennereien.“

Gordon Muir, European Sales Manager bei Gordon & MacPhail

Da der gereifte Whisky für Begehrlichkeiten sorgt, sind alte Bestände auch wichtig: „Es kommen immer wieder Anfragen der Brennereien“, so Muir. Überhaupt sei ein Großteil des Geschäfts von Gegenseitigkeiten geprägt („We borrow interest and we make interest.“) Zum Beispiel erwirbt man durch den Handel auch „Filling Contracts“, das heißt, Vereinbarungen über eine langfristige „Befüllung“ im Austausch gegen alte Fässer. Auf der anderen Seite herrsche auch Wettbewerb, indem G&M das Portfolio der Brennereien ergänzt. So bietet man etwa eine 17-jährige Abfüllung ergänzend zu einem 18-jährigen Standard.

Teilnehmer der Verkostung beim Erkunden seltener Tropfen, darunter Dirk Lunken aus der Maltkanzlei (rechts).

Der Attraktivität verlorener Aromen

Und worin besteht der Sinn, verlorene Aromen zu verkosten? Joel, einem der Gäste ist es wichtig, dass man „den Whisky einer verlorenen Brennerei einmal im Glas gehabt hat“. Im weiteren Sinne sei es schlicht die „Nostalgie“, welche geschlossene Brennereien „so attraktiv mache“, ergänzt Muir. Gerade in Großbritannien sei dies ein Thema, zum Beispiel „mit Autos oder BMX Rädern“. Im Gegenzug muss man dafür etwas tiefer in die Tasche greifen. Immerhin konnte man die Verkostung mit je 1 cl oder mit 2 cl im Glas buchen. Ein Teilnehmer archivierte einen Teil der kostbaren Aromen in Sample-Fläschchen.

„Die Nostalgie macht geschlossene Brennereien so attraktiv.“

Gordon Muir, European Sales Manager bei Gordon & MacPhail

Der Imperial 28 bietet Sherry, Tabak, Leder und Apfelstreusel: der Longmorn 33 dafür Spritz, viel Vanille und Frucht (Birne). „Schade, dass sich keiner traut, zu schmatzen bei so einem Tasting“, kommentiert Bonn. Haselnuss, Toblerone und Milchschokolade liefert der Glen Mohr 40. Der Lochside 40, der wahrscheinlichste seltenste Whisky am Tisch, offenbart Spritzigkeit, Frucht, Toffee und Ingwer. Mit Vanilla und Esther überzeugt der St. Magdalene 39. Der Strathisla 33 braucht Zeit und einen Schuss Wasser, eröffnet dann aber seine große Qualität. Süß und krautig zeigt sich der Convalmore 40. Und der Banff 46 überzeugt mit viel Lemon Curd.

Begleitet wurde die Verkostung von Anekdoten Bonns, unter anderem zu einer Kriminalgeschichte über den Diebstahl von Whiskys, die sich bis zu einem ausufernden Fall für Richter und die Kriminalpolizei entwickelte. Ein großer Sieger des Abends war – nach dem „Jubel-Barometer“ von Michel Reick, Markenbotschafter bei Kirsch Import – der Lochside 40. Vielleicht lag es, neben dem Aromaprofil auch an einer weiteren Anekdote: So habe ein Mitarbeiter einmal ein Fass Lochside mit einem Hillside Whisky (beide kommen aus Montrose) vermählt – „ein kostspieliger Fehler“, wie Muir scherzhaft anmerkt.

Die vorgestellten Abfüllungen aus der neuen Gordon & MacPhail Recollection Series.

Wer sich nun für die Gordon & MacPhail Recollection Series interessiert: Die von nun an jährlich neu aufgelegte Serie soll auch im kommenden Jahr wieder im Brühler Whiskyhaus präsentiert werden. Über welche verlorene Aromen man dann sinnieren kann, steht jedoch noch nicht fest.

Über Gordon & MacPhail

Bei Gordon & MacPhail handelt es sich um einen „unabhängigen Abfüller“ von schottischem Whisky. Gegründet wurde das Unternehmen von der Familie Urquhart bereits im Jahr 1895. Der Stammsitz findet sich in Elgin, wo man auch einen Whisky Shop unterhält mit einer der größten Sammlungen an Whisky weltweit. 1993 erwarb man die Benromach Distillery in Forres. Heute sind Hunderte an Abfüllungen über G&M verfügbar. Im Jahr 2010 veröffentlichte man mit einem Mortlach 70 aus der Speyside den seinerzeit ältesten Single Malt Whisky der Welt, dem unter anderem ein The Glenlivet 1940 70 Jahre oder auch der The Glenlivet Generations 80 folgten.

Über Gordon Muir

Der 1975 geborene Gordon Muir studierte zunächst Philosophie in York, bevor sein Berufsleben bei dem Unternehmen Coca-Cola begann. Sein weiterer Weg führte ihn jedoch bald auf andere Wege: erst zu dem Vertriebsunternehmen Maxxium UK, zu jener Zeit ein Joint Venture von Edrington und Beam Suntory, schließlich auch zu der Belhaven Brewery in Dunbar, der ältesten aktiven Brauerei Schottlands. Zu deren 300-jährigem Jubiläum entschied er sich im Alter von 44 Jahren für einen neuen Arbeitsweg und fand seine Anstellung bei Gordon & MacPhail: „Ich liebe es, das zu unterstützen, was aus meiner Heimat kommt.“

Eine Broschüre mit vielen Informationen rund um Gordon & MacPhail gibt es hier zum Download. 2021 berichteten wir bereits über die Veröffentlichung des Gordon & MacPhail Generations 80. Der Whisky Shop Brühler Whiskyhaus in Brühl bei Köln in Nordrhein-Westfalen findet sich auch im FINDER des Whisky Guide Online.

www.whiskyhaus.de
www.gordonandmacphail.com

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Patrick Tilke

Hier schreibt Patrick Tilke, Journalist und Redakteur der ersten Stunde beim Whisky Guide.