Streitpunkt Kühlfiltration
Von Dr. Heinz Weinberger
In seinem natürlichen Zustand neigt Whisky dazu, einen Schleier zu bilden und trübe zu werden. Mit der Zeit können sogar leichte Sedimente auftreten, die sich auf dem Flaschenboden absetzen. Das Ganze ist ein Zusammenspiel von Temperatur und Ethanolgehalt: Je kälter und je niedriger die Menge an Ethanol ist, desto trüber kann der Whisky in der Flasche werden. In einem Bereich zwischen 40 und 46 Volumenprozent bildet sich selbst bei Raumtemperatur eine leichte Trübung, und es gibt kaum etwas, was man dagegen tun kann. Da es sich bei etwa 90 Prozent des weltweit verkauften Scotch Whiskys um Blends handelt, von denen die meisten nicht nur mit dem Mindestethanolgehalt von 40 Volumenprozent abgefüllt, sondern meist auch noch über Eis serviert werden, kann man sich gut vorstellen, dass diese Trübung einst alltäglich war. Verbraucher, deren Whisky in der Flasche oder im Glas trüb wurde, fanden diese Spirituose nicht sehr attraktiv, um es positiv auszudrücken. Im schlimmsten Fall bescheinigten sie dem Whisky ein Qualitätsmakel oder wandten sich ganz von ihm ab. Um dies zu vermeiden, löste die Whiskyindustrie das Problem mit Hilfe der Kühlfiltration, wobei die Distillers Company Ltd. (DCL) um 1933 eine Vorreiterrolle einnahm. Aber es waren die frühen 1970er Jahre, in denen die Kühlfiltration von der schottischen Whiskyindustrie weitgehend angenommen wurde.
Was ist Kühlfiltration?
Sehen wir uns zunächst einmal den Prozess selbst an. Wie der Name bereits sagt, wird der Whisky nach der Verdünnung mit Wasser auf Trinkstärke und vor der Abfüllung in Flaschen auf eine niedrige Temperatur – oftmals um 0°C, manchmal sogar darunter – abgekühlt und die Flüssigkeit sodann durch einen feinen Filter geleitet. Dabei werden winzige Partikel und Schwebstoffe, welche die durch die Abkühlung bedingte Trübung des Whiskys hervorrufen, aufgenommen und somit herausgefiltert. Die sog. Kaltstabilisierungszeit – also der Zeitraum, über den der Whisky abgekühlt wird – kann dabei bis zu einigen Stunden dauern. Eine typische Filtermethode, die in der schottischen Whiskyindustrie verwendet wird, ist eine Platten- und Rahmenfiltration, bestückt mit Zellstoff, durch die der abgekühlte Whisky mit mittlerem Druck geleitet wird. Diese Filtrationsprozesse sind in Schottland jedoch nicht einheitlich, sondern können in der Wahl von Temperatur, Druck und Filtermaterial variieren.
Löslichkeit von Inhaltsstoffen
Fassgereifter Whisky ist normalerweise ein klares, je nach Art und Vorbelegung des Eichenfasses stroh-, gold-, bernstein- bis hin zu mahagonifarbenes Produkt, welches hauptsächlich aus dem Trinkalkohol Ethanol und Wasser besteht. Zusätzlich sind darin noch hunderte verschiedener chemischer Verbindungen in zum Teil geringen Konzentrationen enthalten, die ihren Beitrag sowohl zum Geruchs- und Geschmacksprofil als auch zur Textur und zum Mundgefühl der Spirituose leisten. Einige davon sind wasserlöslich, andere wiederum löslich in Ethanol. Dann gibt es noch solche, die gar wasserunlöslich sind, jedoch durch den hohen Ethanolgehalt des Whiskys in Lösung gehalten werden. In der Regel gilt: Je mehr wasserfreundliche Reste eine chemische Verbindung aufweist, desto wasserlöslicher ist sie, und je mehr fettlösliche Reste in der Substanz enthalten sind (beispielsweise lange Kohlenstoffketten), desto wasserunlöslicher bzw. ethanollöslicher wird diese. Die Löslichkeit einer chemischen Verbindung ist zudem abhängig von der Temperatur des Mediums und nimmt mit sinkender Temperatur ab.
Langkettige Ester
Im fassgereiften Whisky sind u. a. Substanzen enthalten, die sich aus zwei chemischen Gruppen zusammensetzen lassen: aus Säuren und aus Alkoholen. Zusammen bilden diese beiden eine neue Klasse von Verbindungen, die durch ihre angenehmen sowie zumeist fruchtigen Aromen auf sich aufmerksam machen: die sog. Ester. Diese Ester werden zum einem während der alkoholischen Gärung (Fermentation) von der Hefe gebildet, entstehen aber auch während der jahrelangen Reifung im Eichenfass durch die Reaktion von Säuren mit Alkoholen. Die Säuren sind dabei ebenfalls Produkte aus dem Gärprozess, werden aber auch während der Fassreifung durch die Oxidation der Alkohole mit Luftsauerstoff gebildet. Diese Säuren können dann mit Alkoholen im Whisky, vornehmlich mit Ethanol, weil in großen Mengen verfügbar, eben zu jenen Estern (im Falle von Ethanol zu Ethylestern) weiter reagieren. Bestimmte Ester – also solche, die sich aus langkettigen Säuren, sog. Fettsäuren, gebildet haben – sind bei niedrigeren Temperaturen oder bei niedrigeren Alkoholgehalten schwerlöslich in Wasser, flocken aus und bewirken dabei eine Trübung des Whiskys. Die wichtigsten langkettigen Ester, die für diese Trübungsbildung verantwortlich zeichnen, sind Ethylester der Laurinsäure (Säure mit einer Kette von 12 Kohlenstoffatomen) und der Palmitinsäure (Säure mit einer Kette von 16 Kohlenstoffatomen). Ein Alkoholgehalt von 45 Volumenprozent gilt als entscheidende Grenze für die Ausfällung dieser langkettigen Ester bei Raumtemperatur. Weitere Verbindungen, die für die Trübung verantwortlich sind, stellen hochmolekulare Fette und ethanollösliche Lignine aus dem Eichenfass dar. Die Unlöslichkeit von Ethylestern in Wasser nimmt mit der Länge der Molekülkette zu, so dass die Ethylester von Säuren mit kürzerer Kettenlänge (z. B. Essigsäure, Milchsäure, Buttersäure) keine Trübungsprobleme im Whisky verursachen.
Reversible und irreversible Ausflockung
Wenn Whisky also über einen längeren Zeitraum bei kalten Temperaturen gelagert wird – wie es beim Transport im Winter der Fall sein kann – können sich diese Fettsäureester nicht mehr in Lösung halten, flocken aus und bewirken eine Trübung. Diese ist jedoch reversibel, d. h. sie verschwindet wieder, wenn der Whisky erwärmt wird. Daneben gibt es auch noch eine irreversible Form der Ausflockung. Diese zeigt sich als sehr kleine Kristalle einer kalkähnlichen Verbindung namens Calciumoxalat, die sich langsam im Whisky bildet und am Flaschenboden absetzt, wenn niedrige Mengen an Oxalsäure im Whisky mit ähnlich niedrigen Konzentrationen an Calciumionen aus dem Wasser reagieren. Die Bildung dieser irreversiblen Flocken lässt sich weitgehend unterdrücken, indem man das für die Herabsetzung des Whiskys auf Trinkstärke verwendete Wasser entmineralisiert und somit die Menge an Calciumionen auf ein Minimum reduziert.
Auswirkungen auf Geschmack?
Sowohl in der Whiskyindustrie als auch im Kreis der Verbraucher ist das Thema Kühlfiltration Gegenstand kontroverser Diskussionen. Während die einen der Meinung sind, dass die langkettigen Ester geschmackskritische Komponenten darstellen, die für das reichere Mundgefühl und die Nachhaltigkeit des Aromas im Whisky zählen, stellen sich andere die Frage, ob mögliche Geschmacksunterschiede für die menschlichen Sinne überhaupt wahrnehmbar sind. In der Tat gibt es keine seriösen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema „Kühlfiltration und Geschmack“ – zumindest sind bislang keine aussagekräftigen Ergebnisse veröffentlicht worden. Andererseits deuten einige Blindverkostungsstudien darauf hin, dass der Geschmack – auch für Experten – durch den Filtrationsprozess kaum beeinflusst wird. Der Mikrobiologe und Master Blender bei Hiram Walker, Dr. Don Livermore, sieht die Auswirkungen der Kühlfiltration nicht kritisch. „Es ist sehr schwierig, den Filterrückstand aus einer Probe zu entnehmen und davon eine Analyse zu erhalten, da er sehr leicht zerfließt. Ich habe es viele Male versucht. Ich kann keine konkrete Antwort darauf geben, was sich genau bildet, aber aus sensorischer Sicht empfinden wir bei Hiram Walker den gefilterten Rückstand bestenfalls als marginal.“ Anhand der winzigen Menge des gefilterten Rückstands im Vergleich zum Filtervolumen kalkuliert der kanadische Wissenschaftler die entfernte Menge an Trübstoffen im ppb-Bereich („parts per billion“ – entspricht der Menge von 1 Mikrogramm pro Kilogramm). „Damit jemand einen Unterschied auf ppb-Ebene erkennen kann, müsste er schon äußerst empfindlich auf diese Verbindung reagieren, was im Allgemeinen nicht für den normalen Whiskytrinker gilt.“ Aus Gründen der Produktklarheit werden bei dem kanadischen Konzern daher alle Whiskys vor der Abfüllung in Flaschen kühlfiltriert. Ganz anders agieren die Verantwortlichen bei Douglas Laing. „Einzelfassabfüllungen ohne zusätzliche Färbung und ohne Kühlfiltration ermöglichen es uns, den Whisky direkt aus dem Fass und in einer unveränderten Form anzubieten. Wenn wir kühlfiltrieren, verlieren wir einige der einzigartigen Eigenschaften, die mit Fettsäuren und deren Estern einhergehen, die vor dem Filtern im Whisky enthalten sind. Ganz einfach. Also machen wir es nicht!“ Dennoch, so räumt Chris Leggat ein, basiert diese Entscheidung auf einer sehr subjektiven Sichtweise. „Wenn wir nicht kühlfiltrieren, so glauben wir, etwas im Whisky darin zu behalten. Was wir aber mit Sicherheit wissen ist, dass man bei einem Ethanolgehalt von 46 Volumenprozent im nicht kühlgefilterten Whisky im Vergleich zu den 40 Volumenprozent beim kühlfiltrierten Produkt schlichtweg mehr ‚Whisky für sein Geld bekommt‘, und das ist sicherlich ein Bonus für den Verbraucher.“