Whisky & Aromen
Von Dr. Heinz Weinberger
Viele Whiskys weisen eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Fruchtigkeit auf. Fruchtige Noten sind eine der am einfachsten zu erkennenden Geruchs- und Geschmacksrichtungen, wenn es darum geht, einen Whisky sensorisch zu beschreiben. Doch welche chemischen Verbindungen sind dafür verantwortlich und woher stammen diese? Um dies zu verstehen, müssen wir unsere etwas verstaubten Chemiekenntnisse aus der Schulzeit ein wenig auffrischen. Es gibt viele chemische Verbindungen, die sich aus zwei verschiedenen Bestandteilen zusammensetzen. Wenn beispielsweise eine Säure wie die im Essig enthaltene Essigsäure mit einem Alkohol wie dem Trinkalkohol Ethanol unter sauren Bedingungen eine Reaktion eingeht, entsteht eine neue Stoffklasse, die so genannten Ester. Diese Gleichgewichtsreaktion, bei der Wasser abgespalten wird, wurde von dem deutschen Chemiker Emil Fischer Ende des 19. Jahrhunderts erstmals beschrieben und ist daher auch unter dem Namen „Fischer-Veresterung“ bekannt.
Bildlich gesprochen, verhält sich ein Ester wie ein Zwei-Komponenten-Kleber: Säure (Komponente 1) und Alkohol (Komponente 2) vermischen sich und kleben – nachdem sie Wasser aus dem Zweier-Gemisch verdrängt haben – einander als Ester fest. Die Ester bilden sich hauptsächlich während der Gärung mit Hefe, wobei nahezu 100 verschiedene Ester identifiziert wurden. Längere Gärzeiten führen in der Regel zu fruchtigeren Eigenschaften im späteren Whisky. Darüber hinaus bilden sich Ester während der Destillation in den kupfernen Pot Stills, wenn sich unterschiedliche Säuren und Alkohole – die ihrerseits wiederum als Nebenprodukte bei der Gärung entstehen – im Dampf auf die heiße Kupferoberfläche treffen und miteinander reagieren. Dabei begünstigen steigende Temperaturen die Fischer-Gleichgewichtsreaktion in Richtung der Produkte, also der Ester. Zudem entstehen Ester während der jahrelangen Reifung im Eichenfass. Da Ester maßgeblich für die angenehmen und attraktiven Fruchtaromen verantwortlich sind, stellen sie die Stars in der Whiskywelt dar. Naturgemäß ist der aus Essigsäure und Ethanol gebildete Essigsäureethylester (wird auch als Ethylacetat bezeichnet) der am häufigsten gefundene Ester im Whisky. Ethylacetat ist ein Indikator für Reifung, da er kontinuierlich im Fass gebildet wird und seine Konzentration dadurch stetig ansteigt. Während Ethylacetat in geringen Mengen ein fruchtiges, an grüne Äpfel erinnerndes Aroma verbreitet, können mit zunehmendem Alter des gereiften Whiskys die Mengen an diesem Ester einen Konzentrationsbereich erreichen, bei dem ein unangenehmer, chemischer Klebstoffgeruch entsteht.
Es ist schon verblüffend, wie unterschiedlich die Eigenschaften von Ausgangsstoff (Säure und Alkohol) und Produkt (Ester) sind. Wir alle kennen die Ameisensäure – eine farblose, ätzende und wasserlösliche Flüssigkeit, die in der Natur vielfach von den kleinen Lebewesen zu Verteidigungszwecken genutzt wird. Bringt man diese ätzende Chemikalie mit Ethanol zur Reaktion, so entsteht Ameisensäureethylester: ein Ester mit einem ausgeprägten Aroma nach Rum. Es geht noch eindrucksvoller! Einige von uns werden sich vielleicht an Streiche in der Schulzeit zurückerinnern, als ein paar Tropfen einer farblosen, leicht öligen Flüssigkeit, im Turnraum versprüht, dafür sorgten, dass der Sportunterricht für einige Zeit ausfiel: Buttersäure. Jeder, der diese chemische Substanz schon einmal gerochen hat, wird sie nie mehr vergessen: ein penetranter Geruch nach saurer Milch, Schweiß, ranziger Butter und frisch Erbrochenem. Kaum zu glauben, was passiert, wenn diese eklige Flüssigkeit mit Ethanol reagiert. Dann bildet sich Buttersäureethylester bzw. Ethylbutyrat, eine Verbindung mit charakteristischem Ananas-Aroma! Dies lässt sich beliebig fortsetzen, denn je nach Säure- und Alkoholkomponente entstehen Ester mit unterschiedlichen fruchtigen Aromen.
Wenn Sie also das nächste Mal einen Malt Whisky im Glas haben, der so betörend riecht wie die Luft in einem Obstgarten an einem heißen Sommertag, dann denken Sie bitte auch an die faszinierenden chemischen Verbindungen, die Ester, die für dieses berauschende Erlebnis hauptsächlich verantwortlich sind.