Du betrachtest gerade US Whiskey Tour 2010
  • Beitrags-Kategorie:Reisen
  • Lesedauer:6 min Lesezeit
  • Beitrag zuletzt geändert am:27. Juni 2024

Heinfried Tacke

Hier schreibt Heinfried Tacke, Begründer Whisky Guide Deutschland und Keeper of the Quaich.

Von Heinfried Tacke

Ok. Wir sind gelandet. Welcome in Bourbon County. Verlieren wir über den Flug nicht viele Worte. The Madame vom Bordpersonal hatte ein strenges Auge auf uns. Alles Aufrücken zu geräumigeren Plätzen endete mit einer strengen Aufforderung, zu unseren gebuchten Sitzen zurückzukehren. Der gereichte Kaffee von ihr war danach gezielt an der einen verwendeten Bohne vorbeigekocht. Dabei dachte ich, American Airline wäre in der Hinsicht nicht mehr zu übertreffen. Anyway. Die große Raubtierfütterung stimmte uns dann noch vortrefflich auf jene Art von Fast Food ein, die wir die nächsten zwei, drei Wochen gerne missen möchten. Cracker, Cola und ein pappiges Sandwich. Irgendwann, das schwöre ich bei meiner Mutter, die gestern Geburtstag hatte, werde ich über die kulinarischen Missbrauchsübergriffe seitens der Fluglinien noch einmal einen gnadenlosen Verriss absondern. Ist aber nicht meine Baustelle.

Kleine Fluganekdote noch am Rande: Das Pärchen neben mir orderte im On-Bord-Dutyfree zwei Stangen rote Malboro und eine Flasche Single Malt. Natürlich ließ mich das Aufmerken. Ob Sie denn kein Interesse am amerikanischen Whiskey hätten, hakte ich nach einer ersten höflichen Charmeoffensive nach. Nein, der wäre nicht so gut. Wunderbar! Eine Steilvorlage, wie bestellt. Genau darum sind wir auf Tour. Schauen wir doch mal, ob Bourbon, Rye und Tennessee Tropfen nicht doch mehr zu bieten haben. Dafür werden wir nicht nur bei den Brennereien tiefer in die Gärbottiche schnuppern. Wir wollen direkt vor Ort zugleich eine Idee davon bekommen, ob nicht auch im einst gescholtenen Feuerwasser der Siedler ein eigener Mythos steckt. Was ist heute noch davon zu spüren? Oder treffen wir nur auf eine seelenlose Produktionsmaschinerie, Marke: profit comes first? Sattsam bekannte Klischees, wenn man sich über the american way of good taste unterhält.

Die Verabredungen sind gemacht. Morgen geht es zu Maker’s Mark. Am Abend treffen wir auf Bill Samuel, Jr.. Fred Noe von Jim Beam steht noch auf dem Programm in den nächsten Tagen. Und sogar die lebende Master Distiller Legende Jimmy Russel nimmt sich Zeit für uns. Das nur als kleine Appetithäppchen. Wir werden sie alle aufsuchen: Heaven Hill, Four Roses, Wild Turkey, Woodford Reserve, die Bluegrass Cooperage und in Tennessee selbstredend Jack Daniels in Lynchburg. Und auch George Dickel bleibt noch eine Reiseoption.

Heute, noch mit übernächtigten Augen und im Austaumeln des Jetlags, durchstreiften wir mit unserem silbernen „Chevi“ übrigens Lovo, wie Louisville halb zärtlich, halb mundfaul genannt wird. Das Herz von Kentucky soll hier schlagen. Erst einmal sei dies berichtet: Es sprüht der Frühling, die Blüten überschäumen die Bäume, die Luft ist voller warmer Düfte, die Menschen sind bemerkenswert freundlich wie füllig und wer Skyskraper erwartet, wird erfreulich enttäuscht. Die beinahe Millionen-Stadt erweist sich als ungeahnt weitläufig. Die Siedlungen mit den so typischen viktorianischen Villen und Veranda-Holzhäusern ziehen sich endlos durch eine ländlich anmutende Landschaft. Eindrucksvoll trennt der mächtige Ohio Louisville vom Nachbarstaat Indiana. Riesige Eisenbrücken überspannen den Fluss. Wir haben uns indes auf zwei „landmarks“ gestürzt: Churchills Down, der magische weiße Ort mit der legendären Pferderennbahn für das Kentucky-Derby. Und auf die „Lost Distilleries“, die auch unserem Augen leider verborgen blieben – bis auf die „The National Distillery“ – längst eine Industriebrache in der kommerziellen Drittverwertung als stilvolles Ambiente für Geschäfte und Medienunternehmen. Schicken wir stilles Gedenken an verlorene Zeiten. Und freuen wir uns darüber, dass wir en passant ein Whiskey Liquor Store ganz alten Schlages aufstöberten. Hintern Gittern aus Vorzeiten, staubüberzogen, haarten hier Flaschen und Abfüllungen, die man in Deutschland bestenfalls als Abbildungen aus gut recherchierten Schmökern kennt. Und der alte Mann, ein Black American, betreibt das Geschäft bereits seit über dreißig Jahren. Auch solche Geschichten schreibt der amerikanische Whiskey. Morgen mehr.

Fotocredits: Michael Hughes, Hughes Photography