Du betrachtest gerade Quo vadis Whisky?
Quo vadis Whisky? Die Zukunft liegt in der Rückbesinnung.
  • Beitrag veröffentlicht:12. Dezember 2025
  • Beitrags-Kategorie:Feature / Featured
  • Lesedauer:12 Min. Lesezeit
  • Beitrag zuletzt geändert am:12. Dezember 2025

Redaktion

Hier schreibt die Redaktion des Whisky Guide Deutschland. Alle eingesendeten Meldungen werden von uns vor der Veröffentlichung inhaltlich geprüft und redigiert.

Das neue Jahrbuch erscheint erst am 5. Januar. Doch hier geben wir schon ein Preview mit einem ersten Artikel; eine Bestandsaufnahme zum Ausklang eines schwieriger gewordenen Whiskyjahres. Dessen Botschaft: Die Faszination Whisky hat nichts an Kraft verloren. Von Heinfried Tacke.

Quo vadis Whisky. Wie oft habe ich diesen Titel schon gelesen. Auch selbst verwendet. Denn es ist eine gängige Übung, zum Ausklang eines Jahres auf die aktuellen Trends zu schielen, um ja bei den wichtigsten von ihnen dabei zu sein. Schließlich ist Whisky – bei aller Liebhaberei, auf die wir hier mit Inbrunst insistieren – auch Geschäft. Und reden wir nicht drum herum. Um dieses scheint es gerade nicht so gut bestellt zu sein. Wie Mehltau liegt eine lähmende Glocke über Handel und Vertriebe. Geklagt wird gern und allerorten. Schlechte Nachrichten haben Hochkonjunktur. Doch womit haben wir es zu tun? Ist die Not in der Tat so groß? Oder überschatten die dunklen Wolken nur eine verkannte Realität? Gibt es Wege aus dieser Misere? Oder sogar schöne Aussichten?

Dieser Artikel will der düsteren Stimmungslage gerne etwas entgegensetzen. Denn es gibt weder Belege noch Anzeichen dafür, dass der Passion – in unseren Augen die tragende Säule schlechthin in der Welt des Whiskys – tatsächlich die Kräfte schwinden. Im Gegenteil! Die Nachrichten über Whisky sind in keiner Weise geringer geworden. Und Whisky greift weiterhin in nie zuvor gekanntem Ausmaße Raum – sowohl in seiner weltweiten Ausbreitung als auch in der Hingabe seiner Anhänger. In Wahrheit sind die Aussichten zwar eingetrübt, aber weiterhin von robuster Natur. In diesem Doppelakkord von Rückbesinnung und Zuversicht besteht das eigentliche Credo der nächsten Seiten.

Sagen wir es so deutlich wie möglich: Whisky hat nichts von seiner Faszination eingebüßt. Und auch das Geheimnis seines Erfolges muss keineswegs neu gefunden werden. Im Gegenteil: Wir wären klüger beraten, wenn wir uns wieder mehr auf die Wurzeln dieser Faszination besännen.    

Die Lehren aus der Vergangenheit

Ich zitiere aus einem Telefonat mit einem Insider der schottischen Whiskyindustrie. Seine Botschaft an mich war diese:

„Du ahnst ja gar nicht, wie dramatisch die Lage ist. Welchen Brennereien das Wasser bis zum Hals steht und unter der Hand bereits zum Verkauf stehen. Darunter sind namhafte, die Du gut kennst…“.

Tja! Schlägt man solche Hinweise einfach in den Wind? Erst unlängst erfuhr ich von einem geschätzten Partner in Schottland, dass ihm gekündigt wurde. Ein Top Mann! Mit einem solchen Wissen im Hintergrund verbietet sich bloße Schönrederei. Wer sich auf die jüngere Geschichte des schottischen Whiskys besinnt, dürfte sich an dessen Krise in den frühen 1980er Jahren erinnern. Da sank die Zahl der Brennereien flugs auf Achtzig. Scheinbar in Wellen ereilen dem schottischen Whisky diese Miseren. Oft schier unerwartet, mit größten Hoffnungen bis zuletzt. Und? War das der Untergang der Faszination Whisky? Eben nicht, wenn man sich nur die letzten zwei, bis drei Jahrzehnte vor Augen führt. Der schottische Whisky kam stärker zurück denn je. Und zog am Ende die ganze Welt in seinen Bann. Und welche Botschaft steckt darin? Ich meine diese:

Wie die Fässer im Warehouse ist das Phänomen Whisky von schierer Unverwüstlichkeit. Er reift selbst in schlechten Zeiten!

Das Wohl & Wehe des Kults um Brennereien

Lernen wir so aus der Geschichte. Die Krönung des Single Malt quasi zur Königsdisziplin des (nicht nur) schottischen Whiskys ist unbestritten dessen bisheriger Meilenstein. Nach wie vor sind die Blended Whiskys in Volumen und Menge zwar die stärksten Kräfte des Marktes, geredet wird aber nur über die Brennereien: Ihre Macher. Ihre Besonderheiten. Ihre Geschichte, ihre Legenden. Ihre Whiskys. Die richtigen Zutaten für alles, was einen Kult generiert – das eigentliche Meisterstück der schottischen Whiskyindustrie.

Und wer wollte daran nicht teilhaben! Es ist der unbestrittene Motor von allem in der Whiskywelt und das von je her. Es bringt all jene Geschichten hervor, die uns als die davon Faszinierten fesseln und umtreiben. Vor allem aber bringt es eine Abfüllung nach der nächsten hervor. Und darin liegt sowohl Wohl und Wehe als auch Fluch und Segen des Ganzen, wie wir hier zeigen wollen.

Wood makes the Whisky

Gehen wir zu diesen Anfängen zurück, als der Single Malt den Blended Whisky aus dem Fokus drängte. Erst geriet dadurch eine Brennerei nach der anderen in den besonderen Blick. Ihre Lage und Region. Ebenso ihre Geschichte und Tradition. Zugleich ging es immer öfter um die Besonderheiten des Malt Whiskys. Und sehr bald hatte man die Fässer auf dem Schirm. Hier Double und Triple Woods. Da die nachgereiften Whiskys aus Sherry, Port oder Sauternes Fässern. Das große, weite Feld der „Finishings“ tat sich auf – technisch gesehen „Wood Enhancement“ genannt, was im Grunde keine Grenzen kennt.

Highlight hohes Alter

Zugleich folgten immer ältere Abfüllungen als Highlights. An sie erinnere ich mich besonders gern. Man freute sich oft diebisch schon auf das nächste Tasting mit 25, 30 Jahre oder noch älteren Whiskys. Und fast zur gleichen Zeit kam erstmals „Small Batch“ (kleine Abfüllung) als Zauberwort auf. Ebenso „Limited Edition“ – beides zu Anfang als zarte Pflänzchen, wovon heute keine Rede mehr sein kann.

Das große Rad im Getriebe

Wenn wir es genauer betrachten, folgte alles dabei einem wiederkehrenden Muster. Die Frage war und ist nur: An welcher der vielen Stellschrauben in der endlosen Kette der Herstellung beim Whisky können wir noch drehen, um eine weitere, bisher unbekannte, noch nicht promenierte Nuance ins Schaufenster der neuesten Abfüllung zu stellen. Das Reden von hier 100% Islay, dort Local Barley, dazu Herkunft und Terroir sowie Nachhaltigkeit und vieles mehr nimmt seinen Lauf. Kurzum: Fast nichts kommt mehr auf den Markt, was nicht den Anschein des Besonderen oder Außergewöhnlichen trägt.

Passion lechzt nach Besonderheiten

Bemerkenswert daran ist vor allem dies: Wie ungezügelt die Whisky Lover all diesen Dingen folgen. Es zeigt, wie sehr ihnen Whisky zur Passion geworden ist, aus denen gar eigene Philosophien erwachsen. Denn jede neue Erzählung eröffnet weitere Aspekte, in die man noch mehr und noch tiefer eintauchen kann. Und auch muss! Doch das hat nichts mit Zeit rauben zu tun. Ganz im Gegenteil! Vielmehr fordert es die Enthusiasten nur noch ein bisschen mehr darin, sich innig mit dem zu befassen, was ihnen eh zur Herzenssache geworden ist. Die entscheidende Frage bleibt nur: Wie erklärt sich dann die große Eintrübung aktuell?

Wenn die Altershüllen fallen…

Bei der Suche nach den Triebfedern und Kraftfeldern der heutigen Whiskywelt erscheint mir die Entwicklung hin zu den „No Age Statement“ (NAS) Whisky aufschlussreicher. Denn statt mit dem Pfund des Alters zu wuchern, mit dem man längst zuvor ungeahnte Preise erzielt, bringt man nun immer mehr junge Whiskys an den Start, was zu Beginn dieser Entwicklung sogar einer Not geschuldet ist. Etwa nach der Wiedereröffnung von Ardbeg in den späten 1990er Jahren. Schon nach wenigen Jahren folgen die ersten Releases „Very Young“, „Still young“ und „Almost There“ und sorgen sogleich für Furore. Und nahezu das Gleiche erleben wir beim Neubeginn von Bruichladdich, wo Master Distiller Jim McEwan das Prinzip jung, aber gut mit seinen „Story Bottlings“ schier auf die Spitze treibt. Der gute, alte Whisky aus Schottland lässt mal eben seine Hüllen fallen. Fortan ist „young and sexy“ angesagt.

…und Whisky erzählerisch wird

Und das setzt viele ungeahnte Kräfte frei. Denn den Whiskys haften nun allein Titel, Themen oder Erzählungen an, statt wie früher Alter oder Reife. Als Grund für einen Launch reicht die bloße Ausdruckskraft (engl: „Expression“). Das öffnet übrigens nicht nur in Schottland Tür und Tor für eine Flut an neuen Bottlings. Jeder Newcomer ist nunmehr auf Augenhöhe mit dieser neu etablierten „Qualität“ im Mutterland des Malt Whiskys. Und das weltweit, wohlgemerkt!

Das große Perlentauchen…  

Und in diese Flutung des Marktes hinein fällt der andere große Trend der letzten Jahre. Zum Sturzbach der alterslosen Whiskys gesellt sich die Springflut ungezählter Einzelfassabfüllungen (Single Cask, Cask Strength, etc.) – einst das Kerngeschäft weniger, etablierter Independent Bottler, die sich abseits des Business der Großen auf das eher kleinteilige Geschäft ausgewählter Perlen fokussierten. Doch heute will jeder dabei sein: Nahezu jedes Fachgeschäft, aber genauso immer mehr Enthusiasten, die sich zu diesem Perlentauchen berufen fühlen. Selbst die Brennereien, die als „Originalabfüller“ lange ihre Finger davonließen, bedienen inzwischen diese Sparte.

…und die Gefahr der Abwendung aus Enttäuschung

Doch wer will es ihnen auch verdenken! Je mehr man sich mit Whisky befasst, umso mehr gerät allein das Herausragende in den Fokus. Nur die schiere Masse dieser seltenen Perlen sollte einem zu denken geben. Denn jeder Fehlgriff in diesem Tun trifft den, der sich davon sein höchstes Glück verspricht, in Mark und Bein. Und darin schlummert das wohl gefährlichste Gift unserer Zeit: Die Abwendung aus Enttäuschung. 

Ein undurchdringliches Dickicht

Je mehr so die Fülle zunimmt, die Profile der Brennereien und ihrer Akteure zu verschwimmen scheinen, während jeder Whisky schon gebetsmühlenartig zu etwas Besonderem hochstilisiert wird, umso mehr tritt die Crux des Ganzen zu Tage. Auf der einen Seite kann der passionierte Whiskytrinker kaum genug kriegen von dem, was er so sehr schätzt. Und doch fühlt er sich immer mehr in ein undurchdringliches Dickicht versetzt, dem er kaum mehr Herr wird. Zwischen diesen zwei Stühlen sitzen gerade wohl die meisten Enthusiasten. Sie suchen nach Orientierung. Ihre Kauflaune ist getrübt. Und immer öfter kommt ihnen der fromme, aber inbrünstige Wunsch nach einer Art gesunder Rückbesinnung über die Lippen.

US Whiskyey MG 4182 Hoch WEB 2 3 1080x1620 vyruykatidvy

Alte Whiskey-Nationen erfinden sich neu

Unabhängig davon haben wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen Boom an Neugründungen erlebt, der sich über den ganzen Globus erstreckt. Nur der afrikanische Kontinent nimmt sich davon etwas aus. Und gerade tradierte Whiskey-Nationen wie Irland und USA erfinden sich faktisch neu. Die grüne Insel erwacht dabei aus ihrem Tiefschlaf einer lähmenden Konzentration auf nur wenige, nicht einmal mehr in heimischer Hand befindliche Brennereien und nimmt nun das Glück des irischen Whiskys selbst in die Hand. In den USA ist derweil ein Wandel im Gange, der schier atemberaubend ist. Von einst nur zwei Handvoll an relevanten oder bekannteren Brennereien, wie noch vor Jahren, hat die Zahl der US Whiskey Brennereien längst die vierte Stelle vorm Komma überschritten.

Brave New Whisky World

In den USA reden wir so nicht mehr nur von Kentucky und Tennessee, sondern von Maryland, Texas, Washington, Alaska und bald jedem anderen Bundesstaat. Doch noch spannender als die große Zahl ist deren Ausrichtung: Längst gibt es faszinierende Versionen von einem eigenen, amerikanischen Single Malt Whiskey – bis hin zu welchen mit Torfmalzen, die selbst eingefleischte Islay Fans staunen lassen.

Doch auch das ist nur die Spitze eines weltweiten Eisberges. Von Japan über Australien, Taiwan, Neuseeland, China, Korea und vielen weiteren Ländern im fernen Osten reicht dies in fast jedes europäische Land hinein – im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen. Mit anderen Worten: Wer immer sich mit Whisky bzw. Whiskey befassen möchte, dem tut sich eine schier endlose, neue Welt auf. Und es gibt aktuell niemanden, der das nur ansatzweise zu überblicken wüsste. Zu viel Gutes ist im Schwange.

Vorteil neu und jung am Start

Ob der Kuchen, der dabei verteilt werden will, groß genug ist für alle, die davon profitieren wollen, mag auf einem anderen Blatt Papier stehen. Für alle aber, denen das gleichgültig sein kann, weil sie sich rein aus der Begeisterung für den Whisky damit beschäftigen, für die tut sich ein Eldorado auf. Denn: Werden sie an der einen Stelle enttäuscht, stehen zig andere Brennereien oder Anbieter parat, die ihnen flugs wieder das Glück des besonderen Genusses ins Gesicht zaubern.

Das große Versprechen der Newcomer

Auch wenn es unangemessen klingt: Im Grunde leben wir beim Whisky in rosigen Zeiten. Denn wir haben es mit einer Vielzahl von herausragenden Newcomern zu tun, die erst am Beginn ihrer Geschichte mit ihrem Whisky stehen – oft topp beraten in der Vergangenheit von Leuten wie Dr. Jim Swan. Heißt: Uns Liebhabern bieten sich ständig schöne , neue und überraschende Entdeckungen und das keineswegs nur in den Mutter- und Vaterländern des „uisge beatha“. Was Wunder, dass selbst die großen Player dieser Welt ein Auge auf sie werfen.

Und doch müssen wir die aktuelle Preissituation ansprechen. Wer nah dran ist an der Szene, die sich um die Verkäufe all der schönen Aussichten kümmern, erhält klare Signale: Weitere Preissteigerungen sind nicht mehr darstellbar. Spürbar schwächeln die Segmente ab der dritten Stelle vorm Komma. Lag da früher noch eine weitere Flasche im Einkaufskorb, gähnt dort heute eine bittere Leere.

Höchster Luxus ante portas

Und doch beobachtet man dies: Bald jedes größere Unternehmen in der Whiskywelt, das etwas auf sich hält, investiert ins Luxussegment – mit Abfüllungen zu Preisen, die fern eines Durchschnittsverdieners liegen. Wir benennen es, um diesen gegenwärtigen Trend nicht zu unterschlagen. Man zielt dabei auf jene Sammler, die sich diesen schieren Luxus leisten können – und wollen! Und es gibt sie! Mehr als wir denken. Gleichwohl setzt es gerade aktuell irritierende Akzente. Denn all die, die sich um das sogenannte Brot und Buttergeschäft kümmern, nicht zuletzt auch die vielen, die den Alltag einer Brennerei – wenigstens in ihrem Fühlen und Tun – durch ihre langjährige Liebhaberei mit am Leben halten, schauen da nur in die berühmt-berüchtigte Röhre. Signale, dass man an ihrer Seite steht, sehen sicher anders aus. Auch das birgt nicht zu unterschätzende Frustpotentiale.

Usher WEB 3 2 1620x1080 drsfjjadnkbo

Und die Rückbesinnung auf die ursprüngliche Qualität

Doch genau dieser Frust ist der eigentliche Clou für uns. Er ist Ausdruck für eine Whiskyliebhaberei, die eine höchst emotionale ist. Sie ist von einer inneren Triebfeder, die in Sachen Hingabe, Ausdauer und Treue ihresgleichen sucht. Und wenn mich meine persönlichen Eindrücke auf Messen und Terminen in den letzten Monaten nicht täuschen, dann ist diese schlummernde Faszination im Grunde wie ein Streichholz, das nur richtig entzündet werden will. Schnell steht es dann doch wieder in Flammen. Aber es sucht auch, wie wir es von jeder schwelenden Feuersbrunst kennen, seine eigenen Wege. Nehmen wir nur das spürbar wachsende Interesse an den alten Flaschen aus den 60er, 70er und auch 80er Jahren des letzten Jahrhunderts – zumeist Blended Whiskys alter Schule und voll eigener Geschichten. Da erlebt man oft leuchtende Augen bei denen, die sie probieren und verkosten.

Nein, die Faszination für Whisky ist nicht an ihr Ende gekommen. Sie sortiert sich nur neu…