Erinnern Sie sich noch an das erste Mal, als Sie einen Whisky getrunken haben? Es hat wirklich gebrannt im Mund und auf der Zunge, nicht wahr? Auch heute noch, nachdem bereits viele Drams unsere Kehlen hinuntergleiten durften, empfinden wir den ersten Schluck eines Whiskys am Abend oftmals als scharf. Man spricht auch von alkoholischer Schärfe. Doch was ist der Grund für diesen scharfen Geschmack?
Geschmack – ein paar Grundlagen
Bevor wir ins Detail gehen, müssen wir uns einige Grundlagen ins Gedächtnis rufen. Geschmack wird über die Geschmackspapillen auf der Zunge wahrgenommen. Jede Geschmackspapille besteht aus mehreren hundert Geschmacksknospen, die ihrerseits bis zu 100 Geschmackssinneszellen beinhalten können. Man geht derzeit von mittlerweile fünf nachgewiesenen Grundqualitäten für Geschmack aus: süß, sauer, salzig, bitter und umami. Letztere Geschmacksrichtung erinnert an Fleischbrühe und wird vornehmlich durch die beiden natürlichen Aminosäuren Asparaginsäure oder Glutaminsäure ausgelöst, die Bestandteile vieler Eiweißstoffe in der Nahrung sind. Das Salz der Glutaminsäure, Glutamat, wird beispielsweise als Geschmacksverstärker in der Lebensmittelindustrie eingesetzt.
Geschmackszonen auf der Zunge?
Jüngere Untersuchungen konnten die frühere Lehrmeinung widerlegen, dass es auf der Zunge spezielle Regionen für verschiedene Geschmacksrichtungen gibt. Demnach soll man vorne auf der Zunge süß, an den Seiten salzig, weiter hinten sauer und ganz hinten bitter schmecken können. Diese teils immer noch existierende Meinung ist nicht richtig! Tatsächlich ist es so, dass unsere Geschmackspapillen oder -rezeptoren für die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen überall auf der Zunge verteilt sind. Lediglich die Anzahl und Dichte der Geschmacksrezeptoren an verschiedenen Stellen auf der Zunge sind unterschiedlich.
Fettig – der 6. Geschmack?
Ich schreibe hier bewusst von mindestens fünf Geschmacksrichtungen, da Wissenschaftler nach weiteren speziellen Sinneszellen auf unserer Zunge forschen. Einer sechsten Geschmacksrichtung ist man bereits dicht auf der Spur: fettig. Nach jüngsten Ergebnissen gibt es vermutlich eigene Rezeptoren auf der Zunge, die von Fettsäuren, welche in natürlich vorkommenden Ölen und Fetten enthalten sind, stimuliert werden. Doch was ist mit der Schärfe von Speisen, Gewürzen oder Spirituosen? Nun, da muss ich Sie enttäuschen: Scharf ist keine Geschmacksrichtung!
Schärfe – ein Schmerz!
Schärfe ist ein Empfinden, welches beim Verzehr von bestimmten Lebensmitteln bzw. Stoffen, wie z. B. Paprika, Pfeffer, Chilischoten, Ingwer, Meerrettich oder Senf auftritt. Das, was wir im Mund und auf der Zunge als scharf wahrnehmen, ist keine Stimulation von bestimmten Geschmacksrezeptoren, sondern eine Reizung von Wärme- und Schmerzrezeptoren der Schleimhaut im Mund und auf der Zunge. Schärfe ist also kein Geschmack, sondern eine Wahrnehmung von Wärme und Schmerz! Die englische Bezeichnung „hot“ für scharf bringt es ganz gut auf den Punkt.
Capsaicin und der TRPV1-Rezeptor
Wir alle kennen die Chilischote. Jene grüne oder rote Peperonisorte, bei der bereits der Verzehr eines winzig kleinen Stückchens ein starkes bis höllisches Brennen auf unserer Zunge verursachen kann. Verantwortlich für diese Schärfe ist der pflanzliche Inhaltsstoff der Peperoni, das Capsaicin, benannt nach der Pflanzengattung Paprika, Capsicum. Doch wie wirkt Capsaicin? Dieser Scharfstoff bindet im Mund und auf der Zunge an einen Rezeptor, der zur sogenannten „Transient Receptor Potential Vanilloid“-Familie gehört. Diesen komplizierten Namen müssen wir uns nicht merken, daher reicht die Abkürzung TRPV. Der am besten untersuchte dieser TRPV-Rezeptorfamilie ist TRPV1, der durch Capsaicin aktiviert wird. Der TRPV1-Rezeptor kann auch durch Säuren oder durch Hitze stimuliert werden und hat eine Schwellentemperatur von 42°C. Dies bedeutet, dass bei einer Temperatur von 42°C und mehr der Rezeptor in unserem Mund ein Schmerzgefühl auslöst. Wir kennen das, wenn wir beispielsweise eine heiße Suppe zu schnell essen oder ein heißes Getränk zu hastig trinken. Dann spüren wir einen entsprechenden Schmerz im Mund und auf der Zunge, der durch die Stimulation dieses TRPV1-Rezeptors hervorgerufen wird.
Alkoholische Schärfe
Doch was hat das alles mit Ethanol und mit Whisky zu tun? Eine berechtigte Frage! Aber der Vorspann war notwendig, um die besondere Beziehung von Ethanol mit diesem TRPV1-Rezeptor verständlich erklären zu können. Es konnte nämlich wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass eben dieser TRPV1-Rezeptor nicht nur durch Hitze oder Capsaicin stimuliert wird, sondern auch auf Ethanol reagiert. Und zwar in einer konzentrationsabhängigen Art und Weise. Ethanol bindet also ebenfalls an diesen TRPV1-Rezeptor und kann dabei das Schmerzempfinden „Schärfe“ auslösen. Konzentrationsabhängig bedeutet: je mehr Ethanol desto größer das Empfinden „scharf“. Heißt also, ein Whisky in hoher Fassstärke sollte ein deutlich spürbareres Brennen auf der Zunge auslösen als ein Whisky mit einem Alkoholgehalt von 40 Volumenprozent.
Einfluss von Ethanol auf TRPV1-Rezeptor
Eine weitere Besonderheit ist der Einfluss von Ethanol auf die Schwellentemperatur des TRPV1-Rezeptors. Ethanol ist nämlich in der Lage, diese Schwellentemperatur von 42°C auf 34°C zu senken, was in etwa der Temperatur der Zunge entspricht. Der Whisky benötigt also keine Temperatur von 42°C und mehr (wie in einem Hot Toddy), um den TRPV1-Rezeptor zu aktivieren und dadurch ein brennendes oder scharfes Gefühl im Mundraum auszulösen. Den Schluck Whisky im Mundraum über die Zunge von vorne bis nach hinten und wieder zurück zu bewegen reicht bereits aus, dass sich dieser bis auf Körpertemperatur erwärmt, damit die herabgesetzte Schwellentemperatur des TRPV1-Rezeptors von 34°C überschreitet und somit ein Gefühl von Schärfe vermittelt. Diese Eigenschaft ist auch eine Erklärung, warum das scharfe Gefühl von würzigen Speisen zunimmt, wenn wir dazu Alkohol konsumieren. Andererseits sollte die Schärfe abnehmen, wenn man ein kaltes Bier statt einen gut temperierten Wein oder Whisky zu einem pikanten Essen trinkt.
Rezeptor-Desensitisierung
Bei Rezeptoren stellt sich das Phänomen der Desensitisierung ein. Darunter versteht man eine Herabsetzung der Empfindlichkeit des Rezeptors bei dessen regelmäßiger Stimulation, damit eine Zelle nicht durch ein Signalmolekül überstimuliert wird. Die Folge: Die Weiterleitung des Schmerzsignals an das zentrale Nervensystem wird gedämpft. Dies entspricht unserer Erfahrung, dass der erste Schluck Whisky bei einem Tasting ein brennendes Gefühl auf der Zunge verursacht, während der vierte, fünfte oder sechste Whisky des Abends dieses Gefühl nicht mehr vermittelt, da der TRPV1-Rezeptor durch regelmäßige Stimulation mit Ethanol seine Empfindlichkeit vorübergehend einbüßt. Das können Sie ja mal an einem Tastingabend mit Freunden in die Praxis umsetzen…