In den vorangegangenen Beiträgen haben wir bereits einiges über die einfachen Alkohole Methanol und viel über Ethanol erfahren können. Wie jedoch schon die bloße allgemeine chemische Formel für (gesättigte) aliphatische Alkohole – CnH2n+1OH – verrät, gibt es für n als beliebige ganze Zahl unzählig viele Alkohole. Und selbst das ist nur der Anfang. Denn zugleich existieren noch diejenigen mit den Mehrfachbindungen zwischen den einzelnen Kohlenstoffatomen. Die sogenannten ungesättigten Alkohole. Und darüber hinaus finden wir viele weitere aromatische Varianten vor. Was bedeutet: Es existiert eine schier endlos erscheinende Anzahl von alkoholischen Verbindungen.
Fusel?!
Zugegeben, viele von diesen Alkoholen sind aus chemischer Sicht und auch aus der Perspektive ihrer Anwendungsmöglichkeiten für die Praxis eher uninteressant. Doch einige bestimmte Alkohole sind gerade für Destillate, und da ganz besonders für unsere Lieblingsspirituose Whisky, von enormer Bedeutung. Diese Gruppe alkoholischer Verbindungen, die ich hier anspreche, fasst man unter dem Begriff „Fuselöle“ zusammen. Echt jetzt? So ein Wort für etwas, was wir trinken? Zugegeben, auf den ersten Blick mag das ein völlig negativ behafteter Begriff sein, denkt man doch bei „Fusel“ an eben jene umgangssprachliche Bezeichnung für schlechten, billigen Schnaps. Wer möchte den schon freiwillig trinken? Doch ein zweiter Blick lohnt.
Fuselöle – was ist das?
Fuselöle bezeichnet man auch als Fuselalkohole. Gut, das macht es nicht wirklich besser. Dabei handelt es sich um alkoholische Verbindungen, die mehr als nur zwei Kohlenstoffatome in ihren Strukturen besitzen. Wir erinnern uns: Methanol (CH3OH) hat ein Kohlenstoffatom, Ethanol (C2H5OH) deren zwei. Die Fuselalkohole haben meist eine ölige Konsistenz, woraus der umgangssprachliche Begriff „Fuselöle“ für diese Alkohole resultierte. In größeren Mengen, so ab einem Anteil von etwa 400 mg pro Liter Flüssigkeit, machen sich die Fuselöle durch ein brennendes Gefühl am Gaumen bemerkbar. Dass bei noch größeren konsumierten Mengen gar Kopfschmerzen und Übelkeit auftreten können, kann auch nicht als Werbung für die Fuselöle angesehen werden. Doch es gibt auch Positives zu vermelden! Denn in niedrigeren Dosen, also etwa unter 300 mg pro Liter, wendet sich das Blatt. In dieser niedrigen Konzentration haben die Fuselalkohole eine positive Wirkung sowohl auf das Aroma und den Geschmack als auch auf das Mundgefühl von Spirituosen, und somit auch auf Whisky. Da bewahrheitet sich wieder der alte, etwas abgewandelte Spruch von Paracelsus: „Die Dosis machts!“
Woher stammen sie?
Die Fuselöle tauchen zum ersten Mal nach der Fermentation auf, entstehen also während der alkoholischen Gärung. Eben jener Prozess in der Whiskyherstellung, bei dem durch Umwandlung von Zucker die Hauptprodukte Ethanol und Kohlendioxid gebildet werden. Verantwortlich dafür ist die Hefe. Wie jedes Lebewesen, benötigt auch die Hefe für ihr Wachstum und die Zellteilung Nahrung. Diese bestimmten Nährstoffe findet sie in der zuckerhaltigen Würze in Form von löslichen Aminosäuren vor. Aminosäuren sind chemische Verbindungen, die zur Stoffklasse der Säuren gehören und als Merkmal mindestens ein Stickstoffatom in Form einer sog. Aminogruppe besitzen. Daher auch der Name. Eine Verbindung mit einer Aminogruppe und einer Säuregruppe im gleichen Molekül nennt der Chemiker allgemein Aminosäure. Einfacher geht’s nicht! Diese Aminosäuren kommen auch in der Natur vor, beispielsweise als Bausteine von Eiweißen oder Proteinen, und sind demnach auch in Getreide enthalten. Um einen Malt Whisky herzustellen, gelangen diese Aminosäuren folglich über die Gerste in die Würze und somit auf den Teller der Hefe. Bei der Verdauung, also der Verstoffwechselung der Aminosäuren, scheidet die Hefe das, was sie nicht davon benötigt, über ihre Zellwand wieder aus. Die „Hefe-Abfallprodukte“ von Aminosäuren sind die Fuselalkohole, also unsere Fuselöle. Sie gelangen, wie das flüssige Ethanol, das gasförmige Kohlendioxid und unzählig viele andere lösliche, chemische Verbindungen ebenso, auf diese Weise in die fermentierte Lösung, die sogenannte Wash.
Von der Aminosäure zum Fuselalkohol
Die wichtigsten Fuselalkohole, die wir hier betrachten möchten, tragen die chemischen Namen Propanol, Isobutanol, optisch aktiver Amylalkohol, Isoamylalkohol und 2-Phenylethanol. Zugegeben, etwas kompliziert. Aber an der Endung -ol erkennen Sie, dass es sich um Alkohole handelt. Diese werden auf biochemischem Wege aus den natürlich vorkommenden Aminosäuren Threonin, Valin, Isoleucin, Leucin und Phenylalanin gebildet, die in Form von Proteinen in der Gerste enthalten sind. Ja, hier steckt wiederum, wie fast immer in der Chemie, Methode dahinter, denn fast alle natürlich vorkommenden Aminosäuren enden auf -in. Die Umwandlung von Aminosäuren zu den entsprechenden Fuselalkoholen in der Hefezelle geschieht – vereinfacht gesagt – folgendermaßen: Die Enzyme der Hefe zerlegen zunächst die Proteine der Gerste in die einzelnen Aminosäure-Bausteine. Anschließend wird aus der jeweiligen Aminosäure die Stickstoff-haltige Aminogruppe entfernt, dann Kohlendioxid abgespalten und zum Schluss der verbliebende Rest zum Fuselalkohol reduziert.
Aminosäure | Fuselalkohol | Summenformel |
Threonin | Propanol | C3H7OH |
Valin | Isobutanol | C4H9OH |
Isoleucin | optisch aktiver Amylalkohol | C5H11OH |
Leucin | Isoamylalkohol | C5H11OH |
Phenylalanin | 2-Phenylethanol | C8H9OH |
Aroma der Fuselöle
Die Menge an Fuselöle im gereiften Whisky stellt einen wichtigen Bestandteil seines Charakters dar. Das Propanol verhält sich ähnlich wie Ethanol und hat auch einen vergleichbaren Geruch. Das Isobutanol ist ebenfalls eine farblose Flüssigkeit, die angenehm süßlich riecht. Der optisch aktive Amylalkohol, wiederum eine farblose Flüssigkeit, tritt mit einem gekochten Röstaroma mit fruchtigen bzw. alkoholischen Untertönen in den Vordergrund. Isoamylalkohol hat die gleiche Summenformel wie der optisch aktive Amylalkohol, besitzt jedoch eine andere chemische Struktur (der Chemiker nennt dieses Phänomen „Isomere“), die sich u.a. auch auf dessen Geruchseigenschaften auswirkt. Denn dieser farblose Fuselalkohol macht durch einen leicht stechenden Alkoholgeruch auf sich aufmerksam. Und schließlich sticht das 2-Phenylethanol, ein aromatischer Alkohol (hier gilt nicht die o.g. allgemeine Formel CnH2n+1OH), durch seinen charakteristischen rosenartigen Duft hervor.
Weiterreaktionen
Nun, werden Sie sagen, schön und gut. Aber das sind fast alles Aromen, die sich nur bedingt für den Whisky-Genießer ansprechend anhören. Da haben Sie Recht! Doch nicht alles an Fuselölen erscheint auch im späteren Destillat bzw. Whisky. Denn diese Fuselöle haben alle einen zum Teil deutlich höheren Siedepunkt als Ethanol. Während der zweiten Destillation in der Kupferbrennblase erscheinen sie folglich erst gegen Ende des Hauptlaufs und während des Nachlaufs. Daher liegt es an dem Brennmeister, wieviel er davon in seinem New Make enthalten haben möchte. Meist leisten diese Fuselöle ihren Beitrag eher zum Mundgefühl eines Whiskys, also wie sich dieser beim Verkosten im Mund anfühlt. Zum Aroma und Geschmack tragen sie aber dennoch bei. Denn die Fuselalkohole im Destillat können während der Fassreifung mit anderen Partnern chemische Reaktionen eingehen. Diese verlaufen unter den Temperaturen eines gut gekühlten schottischen Lagerhauses zwar sehr langsam ab, doch die einzelnen Reaktionspartner im Fass haben ja auch fast alle Zeit der Welt. Die wichtigste Reaktion sei an dieser Stelle genannt, nämlich die chemische Umsetzung der Fuselalkohole mit Säuren zu einer neuen Stoffklasse, die mit angenehmen, meist fruchtigen Aromen aufwartet: die Ester. Generell gilt: Immer dann, wenn Säuren und Alkohole miteinander reagieren, entstehen Ester und Wasser.
Ester – überall Früchte
Und schon sieht die Welt ganz anders aus, wenn beispielsweise das Fuselöl Propanol im Eichenfass mit Essigsäure (wird aus Ethanol durch Oxidation gebildet, kommt aber auch in der Hemicellulose des Eichenholzes vor) zu dem Ester Propylacetat reagiert, dessen Aroma an Birne erinnert. Kommen hingegen das Fuselöl Isobutanol und die Essigsäure zu dem entsprechenden Ester Isobutylacetat zusammen, dann bildet sich das Aroma von Bananen aus. Auch das Isoamylacetat, der Ester, der sich aus Isoamylalkohol und Essigsäure formt, riecht fruchtig nach Bananen, während der Ester aus optisch aktivem Amylalkohol und Essigsäure, 2-Methylbutylacetat, nach Apfel duftet. Und der Rosenduft von 2-Phenylethanol wird im entsprechenden, mit Essigsäure gebildeten Ester, dem 2-Phenylethylacetat, zunehmend süßlicher und fruchtiger mit Noten von Honig. So gesehen ist ein gewisses Maß an den Fuselölen im Destillat also begehrt im später gereiften Whisky.
Säure | Fuselalkohol | Ester | Aroma |
Essigsäure | Propanol | Propylacetat | Birne |
Isobutanol | Isobutylacetat | Banane | |
optisch aktiver Amylalkohol | 2-Methylbutylacetat | Apfel | |
Isoamylalkohol | Isoamylacetat | fruchtig, Banane | |
2-Phenylethanol | 2-Phenylethylacetat | süß, fruchtig, Honig |